Pilgern auf dem Jacobsweg in Spanien 2016

170 km auf dem Küstenweg unterwegs

 

Einmal einen Jacobsweg in Spanien, z.B. den Camino del Norte, den Küstenweg, laufen. Ja, das ging mir schon viele Jahre im Kopf herum. Ich hatte schon so viel davon gehört und gelesen. Anfang September 2016 fasste ich daher den Entschluss mich daran zu wagen. Mit einer Gruppe lief ich, sozusagen zum Schnuppern, ein 170 km langes Teilstück des Küstenweges. 

 

Vorgeschichte

 

Nachdem ich 2015 die Bedingungen für den Äquatorpreis im Rudern erfüllt hatte und kilometermäßig quasi einmal um die Welt gerudert war, suchte ich nach einer neuen Herausforderung. Über die Jacobswege in Spanien hatte ich früher schon viel gelesen und gehört. Besonders der Camino del Norte, der Küstenweg, hatte es mir dabei am meisten angetan, der in einer grandiosen Naturlandschaft zwischen Meer und Bergwelt mit großen Höhenunterschieden verläuft, weshalb er auch als schwer eingestuft wird. Was mich aber immer abschreckte, waren die Übernachtungen in den Herbergen, über die ich viele Schauergeschichten hörte. Von Ungeziefer, von 20 - 40 Betten Schlafsälen mit all den damit zusammenhängenden Geräuschen und Unruhen und, von dem Run auf die Betten selbst jeden Tag. Nein, das wollte ich nicht.  

Pilgerroute (Grafik PURA-Reisen)
Pilgerroute (Grafik PURA-Reisen)

Nach einer Recherche im Internet fand ich aber bei PURA-Reisen das, was mich sofort ansprach. Wandern auf dem Camino del Norte mit vorgebuchten Übernachtungen, Gepäcktransport und Reiseleitung. Ja, das war's. Mit einer Gruppe erstmal alles ausprobieren, ohne sich um das Drumherum kümmern zu müssen. Gut, ich gebe zu, es war schon eine Luxus-Pilgerung, aber die 170 km mussten trotzdem selbst erlaufen werden! In sengender Sonne (extreme Hitzewelle zu der Zeit in Nordspanien) und mit körperlicher Herausforderung. 

 

In acht Tagen pilgerten wir von Querás bis Santiago. Um die für die Pilgerurkunde geforderten letzten 100 km ohne Unterbrechung zu laufen, fuhren wir zwischen Tapia de Casariego und Baamonde eine kurze Strecke mit dem Bus. Auf den 170 gelaufenen Kilometern bewältigten wir insgesamt 2.539 Höhenmeter. Natürlich ging es diese Meter auch wieder runter, was meinem Knie gar nicht gefiel. Ich gebe zu, dass mir beim Erreichen der Kathedrale von Santiago de Compostela ein paar Tränen in die Augen traten. Vor Erleichterung, angekommen zu sein, und es geschafft zu haben. 

 

Anreise

Am 1. September 2016 flog ich von Zürich aus über Madrid nach Oviedo, unserem Ausgangspunkt und Treffpunkt der Gruppe. Beim Umsteigen in Madrid hatte ich 50 Minuten Zeit, wusste aber nicht von welchem Gate aus der Anschlussflieger ging. Auf dem Abflugboard standen nur drei Buchstaben. Welcher war nun maßgebend. 25 Minuten vor Abflug dann die Erlösung. Hinter dem Flug stand nur noch ein Buchstabe. Also schnell durch die riesige 1,4 km lange Abflughalle zum richtigen Gate gelaufen. Während ich noch wartete, fiel mir eine Frau auf, die auch Rucksack und Wanderschuhe anhatte. Ich sprach sie einfach an, und siehe da, sie gehörte zu meiner Gruppe. Schon waren wir zu zweit.

In Oviedo ewig lange auf das Gepäck gewartet. Es kam nicht, dafür eine Flughafenangestellte, die meinte, wir sollten doch noch die anderen Gepäckbänder absuchen. Und richtig, ganz woanders drehte unser Gepäck unverdrossen Runde um Runde. Nach und nach faden sich auch die anderen der Gruppe ein. Schlußendlich hatten alle ihr Gepäck, bis auf eine. Ihr Gepäck erhielt sie erst einen ganzen Tag später nachgeschickt, nach der ersten Wanderung. Allerdings waren darin auch ihre Wanderschuhe. Und so half nichts, sie musste sich in Oviedo ein paar Ersatzschuhe kaufen. Das war echt Pech. Unser Reiseleiter Luis, der uns am Flughafen abholte, meinte, das sei für Spanien und besonders für Madrid nicht ungewöhnlich. Auf der Heimreise konnte ich das bestätigen, denn mein Gepäck kam auch nicht mit mir in Zürich an. Erst am nächsten Tag wurde es mir nachhause geliefert.

 

Aber weiter. Vom Flughafen aus ins Hotel gefahren und kurz darauf zum für uns späten Abendessen (21 Uhr) in die Stadt gefahren. Überall auf den Straßen voller Betrieb. Und etwas, was zumindest für uns irritierend war. Das begehrteste Getränk was der Sidra (Apfelwein), der von der Bedienung mit Schwung über die Schulter nach hinten in die Gläser gefüllt wurde, damit er mit der Luft in Berührung kommt. Natürlich ging gut ein Drittel davon daneben und ergoß sich einfach so auf die Straße oder im Lokal auf den Fußboden. In den Lokalen ist daher oft Sägespäne auf dem Boden verteilt, um die Flüssigkeit aufzusaugen. Obelix würde sagen: "Die spinnen die..."

 

 

Kathedrale in Oviedo
Kathedrale in Oviedo

1. Pilgertag von Queras nach Luarca ( 14 km)

Vormittags stand zuerst eine Stadtführung durch das geschichtsträchtige Oviedo an. Oviedo ist die Hauptstadt der  Autonomen Gemeinschaft des Fürstentums Asturien. Die Altstadt ist wirklich schön und wäre wert gewesen, sie länger zu erkunden, aber uns zog es alle zur Kathedrale. Und dort, an einem kleinen Pförtchen an der Seite, zückten wir unsere funkelnagelneuen Pilgerausweise. Denn mit dem Stempel, den eine Nonne uns durch ein kleines halbvergittertes Fensterchen gab, galten wir nun offiziell als Pilger. Um nämlich eine Pilgerurkunde, den Credencial de peregrino, am Ende der Pilgerreise in Santiago ausgestellt zu bekommen, muss man sich den Pilgerausweis jeden Tag auf der Strecke abstempeln lassen. Auf den letzten 100 km sogar zweimal pro Tag. Meistens bekommt man die Stempel in den Herbergen aber auch in Kirchen, Bars, Touristen-informationen etc. 

 

Jetzt stand unserer Pilgertour nichts mehr im Wege. Wir nahmen nur den Tagesrucksack mit, das große Gepäck wurde separat zum nächsten Hotel weitertransportiert (Stichwort: Luxus-Pilgerreise). Mit dem Bus ging es zum Ausgangspunkt bzw. Beginn der Wanderung, nach Queras. Das liegt zwischen Villademoros und Luarca. Und dort, um 13:00 Uhr, begann unsere Pilgerreise. Sie führte uns erst einmal einige km auf geteerter Straße entlang, danach auf einem Waldweg bergab bis zum Hostel Canero wo wir für eine späte Mittagspause einkehrten. Wir waren nicht die einzigen Gäste. Einige Pilger saßen schon draußen und begrüßten uns mit einem "Buen Camino", dem Gruß für die Pilger. Jetzt gehörten wir dazu. Nach einem belegten Baguette und etwas zum Trinken ging es weiter. Aber nicht, ohne uns vorher noch einen Stempel für unseren Credencial del Peregrino zu holen!

Blick auf Luarca
Blick auf Luarca

Gott sei Dank waren wir frisch gestärkt, denn es ging nun fast einen Kilometer lang immer steil bergauf, um anschließend über Feldwege und größtenteils Straße nach Luarca zu gelangen, unserem Tagesziel. Dort angekommen, öffnete sich ein grandioser Blick auf die tief unter uns liegende und zwischen Berge eingebettete Stadt mit Hafen. Mit den sieben Brücken, dem im Hafen mündenden Fluss, den vielen Booten und den Bergen ringsherum ein wahrlich sehenswertes Bild.  Erst wollten wir schnell zu unserem Hotel, dann entscheiden wir aber gemeinsam, dass wir noch zum Leuchtturm und zur Kirche oben auf dem Berg laufen wollten. Sonst hätten wir erst runter in die Stadt und später wieder hoch zu der Kirche müssen. Der Umweg hatte sich gelohnt. Ein phantastischer Ausblick auf die Umgebung und den Hafen empfing uns. Etwas später dann runter in die Stadt zu unserem Hotel. Schnell geduscht, einige Sachen rausgewaschen und Wasser für den nächsten Tag in der Stadt gekauft. Um 20:30 Abendessen mit drei Vorspeisen! in einem netten Lokal. 

 

Randbemerkung: Das Wetter war extrem schwül, der Himmel den ganzen Tag ziemlich bedeckt. Für mich lief alles super. Keine Blasen, keine Knieschmerzen, nichts. So konnte es weiter gehen. Während der Wanderung kristallisierte sich jedoch heraus, das wir eigentlich zwei Gruppen in einer Gruppe waren. Sieben Teilnehmer kamen schon als Gruppe an.  Einige davon waren aktive oder ehemalige Marathonläufer oder geübte Langstreckenläufer. Ich schloß mich drei Frauen an, die wie ich alle zum ersten Mal auf dem Jacobsweg liefen und das gleiche Tempo wie ich hatten. Wir verstanden uns auf Anhieb glänzend.  Und wir wollten nicht nur laufen sondern auch ab und an ein Foto machen. Was uns natürlich jedesmal weit hinter die Gruppe zurück warf. Unser armer Reiseleiter musste daher immer zwischen den beiden "Gruppen" pendeln und vermitteln. Ja, Reiseleiter sein ist meistens nicht leicht. 

 

 

2. Pilgertag von Luarca nach Navia (22 km)

Stilleben auf Jacobsweg
Stilleben auf Jacobsweg

Gleich der Beginn der heutigen Tagesetappe kostete schon ganz schön Puste. Denn kaum aus dem Hotel raus, ging es kurz durch die Stadt und dann gute 700 m in Serpentinen relativ steil bergauf. Etwas abgemildert wurde der Anstieg durch die herrliche Aussicht von oben auf Laurca und Umgebung.  Es sollte aber beileibe nicht die einzige Steigung heute werden. Munter ging es über 8,6 km so weiter. Meist bergauf, manchmal aber auch bergab.  Auf wenig befahrenen Asphalt Straßen, dann wieder auf Schotterpisten und schönen Feldwegen. Vorbei und entlang von Autobahnen und durch mehrere kleine Ortschaften und Siedlungen bis zur 1. großen Pause nach 13 km in Villapedre. Das war dann aber auch höchste Zeit. Zwar war am frühen Morgen der Himmel noch bedeckt gewesen, aber inzwischen brannte die Sonne brutal vom Himmel herunter, und unsere Kehlen brannten auch. Völlig ausgedörrt trank ich zwei große Radler und aß dazu  ein belegtes Baguette. 

 

Café in Villapedre
Café in Villapedre

Inzwischen waren wir auch schon drei Stunden unterwegs und hatten, nach erfolgreichem Protest von uns vier Damen, nach jeder Stunde eine kurze Trinkpause gemacht. Zugegeben, es ist schwierig in einer größeren Gruppe mit unterschiedlichen Laufgeschwindigkeiten und Konditionen zu laufen und alle unter einen Hut zu bekommen. Aber wir vier "Nachzügler" waren ja mit 5,4 km / h  incl. der vielen Steigungen und Stehenbleibens wegen der Fotos (später waren wir sogar schneller), auch nicht gerade sooo langsam. Kaum aber blieben wir stehen um z.B. ein Foto zu machen, waren die anderen schon inzwischen außer Sichtweise. Unser 

Reiseleiter sprach daher auf unsere Bitte hin ein Machtwort, und von nun an klappte es ohne Murren. Die Schnellläufer hielten sich an die Abmachung und warteten brav nach einer Stunde auf uns. Was ja auch wieder nett von ihnen war. Also Harmonie pur! Trotz all der Harmonie blieb die Gruppe jedoch bis zum Schluss gespalten. Vertragen haben wir uns dennoch. 

Navia ist klein und hügelig
Navia ist klein und hügelig

Nach der Pause ging es fast nur noch bergab. Manchmal ganz schön steil und dazwischen wieder etwas eben. Halt für jedes Pilgerherz und Pilgerknie etwas. Naja, noch machte mir das bergab gehen nichts aus, das kam erst zwei Tage vor dem Ziel Santiago. Aber im Moment ging es mir noch super. Keine Blasen, keine Schmerzen. Nach einer Bachüberquerung auf rutschigen Steinen, wieder vielem Asphaltlaufen und einer zweiten Pause kurz vor Tagesziel erreichten wir gegen 16 Uhr dann Navia in Asturien. In Navia selbst gab es noch eine kleine Irritation, denn die erste Truppe war schon weit weg und wir vier wussten nicht, wie wir zu unserem Hotel kamen. Aber wir hatten ja die Handynummer von Luis, unserem Reiseleiter. Angerufen, und nach kurzer Zeit kam er dann auch schon etwas schuldbewusst angelaufen und führte uns zu unserem Hotel. Das ging noch mal gut. Ohne Handy wäre das aber schon schwieriger gewesen. Nach dem einchecken im Hotel, kurz die Sachen rausgewaschen, und dann alleine einen Bummel durch die kleine schmucke Stadt gemacht. Viel gab es nicht zu sehen, aber interessant war es doch. Besonders die lange Promenade in Ufernähe, die durch ein dichtes Blätterdach geschützt war und wo sich herrlich im Schatten sitzen und wandeln ließ. Und im August jeden Jahres finden hier sogar internationale Schwimmwettkämpfe auf der Navia, dem Fluss, der hier in den Atlantik mündet, statt. Später noch Wasser für den nächsten Tag gekauft, dann war es auch schon Zeit für das Abendessen um 20 Uhr im Hotel. Gut gegessen, Wein getrunken und dann ab ins Bett. Der nächste Tag wartete mit der längsten Strecke der ganzen Pilgerreise auf uns. 

 

Randbemerkung: Die gelaufenen Kilometerangaben weichen von denen in den Beschreibungen etwas ab. Grund dafür ist, dass ich immer bis zum Hotel und vom Hotel ab gemessen (GPS) habe. Und die Hotels lagen ja meist etwas abseits von der Route. Manchmal sogar ganz schön weit weg davon. Da kam dann Freude auf, wenn man erleichtert am Zielort angekommen war und noch "Meilenweit" zum Hotel laufen musste! Die mal mit dem Taxi gefahrenen Kilometer sind davon schon abgezogen.

 

 

3. Pilgertag von Navia nach Tapia de Casariego (26 km)

Heute bot die Wegstrecke teilweise Küste pur. Auf wunderschönen Naturpfaden ging es manchmal ganz dicht an der Küste mit traumhaften Ausblicken entlang. Das entschädigte voll und ganz für die lange Strecke. Immer wieder durch die grandiosen Ausblicke auf die Küste abgelenkt, blieb gar keine Zeit, um auf  eventuelle Wehwehchen zu achten. 

 

Weg aus Navia
Weg aus Navia

Bei mir hatte sich morgens inzwischen ein kleines Ritual eingespielt. Damit Blasen gar nicht erst entstehen konnten, bepflasterte ich jeden Morgen 2 -3 potenzielle Stellen mit Blasenpflaster, was sich prima bewährte. Außerdem hatte ich mir Wanderschuhe gekauft, die eineinhalb Nummern größer als meine normale Schuhgröße waren, weshalb sich meine Füße trotz des vielen Laufens und der Hitze pudelwohl fühlten. Und auf meine Wanderstöcke wollte ich auch nicht mehr verzichten. Sie waren mir eine große Hilfe, besonders beim bergab gehen. Für den Notfall hatte ich zudem im Rucksack noch ein paar Trekkingsandalen mit, die ich auch ein paar Mal dankbar anzog. Alles in allem also eine optimale Ausrüstung.

 

So ausgestattet pilgerte ich heute wieder frühmorgens bei bedecktem Himmel mit der Gruppe los. Wir vier Frauen, wir "Rennschnecken", wie wir uns inzwischen getauft hatten, weil wir zwar schnell gelaufen sind, aber immer wieder stehenblieben und fotografierten etc., bildeten gleich von Beginn an das Schlusslicht der Gruppe. Wir hatten uns entschlossen, unser Tempo zu gehen und uns nicht treiben zu lassen. Und so wurde es ein wunderschöner Tag.  Wir verließen Navia über eine Brücke über den Fluss  Ria de Navia, die mit den Fahnen der EU geschmückt war, und relativ schnell ging es steil bergauf an einem Wald entlang. Nach einiger Zeit, und wieder weiter unten, führte der Weg über Bahngleise, durch einen beeindruckenden Hohlweg und durch etliche kleine Weiler mit manchmal nur drei bis vier Häusern.   

 

Ein Brunnen für  Pilger
Ein Brunnen für Pilger

Die Häuser waren teilweise liebevoll hergerichtet und im Garten oder Hof stand oft eine große Palme. Bewacht wurden sie meist von einem oder zwei Hunden, die  unseren Weg am Grundstück vorbei jedesmal misstrauisch und laut kläffend begleiteten. Malerisch sahen auch die wunderschönen Feigen-, Zitronen- und Maronenbäume in den Innenhöfen oder nahe des Hauses aus. Die Bauernhöfe waren fast alle aus Granitstein erbaut, was ihnen ein, trotz oft hohem Alter und Verfall, immer noch würdiges Aussehen verlieh. Farbe in das Grau brachten bunte Hortensien, die wohl als allererstes bei einem Hausbau gepflanzt werden. Da Sonntag war, traf man zudem auch öfters Einwohner an, die fast alle mit einem freundlichen "Buen Camino" grüßten oder zurück grüßten. 

 

Nach vielem Asphaltlaufen und langen Strecken entlang einer Autobahn machten wir nach 12,5 km Mittagspause. Ich bestellte mir Pommes und Salat, schaffte aber nur die halbe Portion. Es war inzwischen einfach zu heiß geworden um Hunger zu haben. Nur der Durst machte sich bemerkbar. Nach der Pause und dem erneuten Schultern der Rucksäcke liefen wir weiter, wobei wir uns wie immer an den Wegmarkierungen, einer Jakobsmuschel oder schlicht einem gelben Pfeil orientierten. Ganz am Anfang hatte das Probleme gemacht, aber inzwischen waren wir fit im "Lesen" der Pilgerwegmarkierungen. Der Monolithen, einfachen Schilder und halbverwitterten Muscheln auf Steinen, am Boden oder an Bäumen.  

Pilgern an der Küste
Pilgern an der Küste

Irgendwann am Nachmittag entschieden wir uns alle für einen Umweg, um ganz nah an die Küste zu kommen. Ein naturbelassener Pfad, ein herrlicher Ausblick und eine traumhafte Gegend entschädigten uns später für den längeren Weg. Genauso hatten wir uns den Küstenweg vorgestellt. Nach insgesamt knapp sechseinhalb Stunden reiner Laufzeit und 26 km erreichten wir schließlich Tapia de Casariego. Ein traumhaft schönes, malerisch gelegenes Küstenstädtchen am Golf von Biscaya. Der Blick von hoch oben auf der Steilküste runter auf den Fischereihafen war gleichzeitig aber auch Erlösung. Es war schon ein sehr langer Tag gewesen. Und so wollte jeder erstmal nur noch ins Hotel. Dazu mussten wir jedoch wieder hoch, durch und um die ganze Stadt laufen. Das gute  Abendessen hatten wir uns später daher wirklich verdient. Und unsere Füße das Ausruhen.

 

RandbemerkungDen ganzen Tag nur vier andere Pilger gesehen und einige Camino Radfahrer. Die anderen beiden Tage nur zwei. Der Küstenweg ist immer noch einer der wenig begangenen. Nur sechs Prozent aller Pilger pilgern auf ihm. Ganz anders der Camino Francés, der bekannteste Weg, den 65 Prozent aller Pilger laufen (Stand 2016). Zu der Beliebtheit des Camino Francés hat u.a. das Buch von Hape Kerkeling beigetragen. 

 

 

4. Pilgertag von Baamonde bis A Brana (20 km)

Heute verließen wir die Küste und fuhren erst einmal 108 km mit dem Bus nach Baamonde im galicischen Hinterland, um von dort die letzten 103 km zusammenhängend zu laufen, wie für den Pilgerausweis vorgeschrieben ist. Das schöne an dieser organisierten Tour war, dass wir vorher auch schon 2 ½ Tage den Camino del Norte in Asturien entlang liefen, und damit auch die Küste kennenlernen durften. In Galicien wird neben Spanisch das seit 1981 zur Amtssprache erhobene  "Galicische" gesprochen. Knapp 95 % der Wirtschaftsunternehmen sind Kleinstunternehmer wie z. B. Bauern, deren Haupterwerbsquelle die Milch - und Viehzucht ist. Wobei es in Galicien keine Massentierhaltung gibt.

 

Steinerne Bogenbrücke
Steinerne Bogenbrücke

Ich empfand die heutige Tour als besonders schön. Zwar gab es auch noch geteerte Straßen, aber ansonsten herrschte pure Natur vor, mit Wäldern und saftigen Wiesen. So führte bereits kurz nach Beginn eine wunderschöne kleine steinerne Brücke zur malerisch mitten im Wald stehenden Kapelle San Alberte mit einem beeindruckenden Steinkreuz und einer geheimnisumwobenen Quelle gleich daneben. Auf einem langsam ansteigenden romantischen Waldweg, der zu einer Piste wurde, ging es dann weiter. Vorbei an den für Galicien typischen Vorratsspeichern, den Horreos, in denen vorwiegend Mais gelagert wird. Und wieder vorbei und durch winzige Weiler und einem kleinen alten öffentlichen Waschhaus. Bis die erste größere Pause in einer kleinen Herberge mit Café lockte. Wir Rennschnecken interessierten uns bald jedoch auch für den handgefertigten Pilgerschmuck, der dort ausgestellt war. Zu einem echten Pilger gehört eine Muschel. Am Rucksack hatten wir schon eine, aber noch keine als Kette um den Hals. Das musste unbedingt sein! Gedacht, gesagt und getan, von nun an begleitete uns, mich eingeschlossen, eine Muschelkette Tag und Nacht. Getränkt mit all dem Schweiss, den der Weg gekostet hatte. Wieder zu Hause, schrieb mir Regine, dass die Muschel sogar nachts leuchte. Dumm, dass wir es nicht gleich bemerkten, sonst wären wir evtl. sogar nachts gelaufen!?!

 

Willkommener Wegweiser
Willkommener Wegweiser

Es ging weiter durch den Wald, über eine ganz wenig befahrene Asphaltpiste. Und nach etlichen Kilometern erreichten wir schließlich Miraz, wo wir etwas außerhalb in einem  Gasthaus zu Mittag aßen. Natürlich immer draußen auf einer Veranda oder knapp an der Straße. Frisch gestärkt, vor allem gut mit Flüssigkeiten aufgefüllt, tat sich anschließend vor uns erneut ein wunderbareres Teilstück der Strecke auf. Eine beeindruckende Heidelandschaft mit eingestreuten Felsen, blauen Himmel, strahlende Sonne, ziemlich heiß sogar, und die Heideblüte Erika. Irgendwie habe ich mich dort mit am wohlsten von der ganzen Pilgerreise gefühlt und denke sehr gerne daran zurück. Aber es blieb keine Zeit für Schwärmereien. Es hieß immer weiter bergauf, bis wir erneut, wenigstens für eine ganz kleine Weile, in den Wald eintauchen konnten und etwas Schutz vor der Sonne fanden. Dann aber winkte bald der Endpunkt der Tagesetappe auf der Straße nahe des Ortseinganges von A Brana, wo uns unser Bus abholte. 

Die letzten zwei Kilometer waren jedoch noch einmal ziemlich heftig. Die Sonne stach brutal vom Himmel herab, und wer schon einmal in der Heidelandschaft gewandert ist, weiß, dass es da gewöhnlich sehr heiß sein kann. Kein Lüftchen wehte. Wir alle waren total geschafft. Nicht der Kilometer, sondern der Hitze wegen. Es hatte in der Heidelandschaft 42 Grad in der Sonne. Und dabei ging es noch lange bergauf. Puh!!! Als ich in den Bus einstieg lief mir nur so der Schweiß runter. Und nicht nur mir.

 

Der Bus brachte uns in unser Hotel, welches abseits des Weges lag, da es sonst keine Übernachtungsmöglichkeit gegeben hätte. Am nächsten Morgen setzten wir aber genau an der Stelle wieder ein, wo wir aufgehört hatten. Das Hotel war ein Riesenkomplex, ein Wellnesshotel, aber es gab nicht einmal Wasser auf dem Zimmer. Und auch beim Abendessen musste man um Wasser und Gläser kämpfen. Ansonsten war das Büfett am Abend gut und reichhaltig. Leider waren die Abendessen immer erst zwischen 20:30 und 21:00 Uhr. Für die meisten von uns viel zu spät. Aber so ist es halt in Spanien. Dort eine ganz normale Abendbrotzeit.

 

Randbemerkung: Wenn man In der Gruppe läuft, geht vielleicht etwas von dem ursprünglichen Sinn des Pilgerns verloren, aber auf der anderen Seite erfährt man dadurch auch viel Unterstützung. Wir vier Rennschnecken verstanden uns einfach sehr gut. Jede konnte erzählen, jede hörte der anderen zu. Wenn Probleme auftauchten gab es Trost und Unterstützung und der Weg wurde dadurch um vieles leichter. Natürlich "schnatterten" wir vier viel, aber dadurch, dass wir immer mit etwas Abstand hinten liefen, störte es keinen. So wurden beim Laufen kleine und größere Probleme erörtert aber auch auf einige Dinge am Weg hingewiesen, die man sonst vielleicht alleine übersehen hätte. Ich kann nur sagen, dass ich diese Gemeinschaft als sehr schön empfunden habe und froh war und bin, sie erlebt zu haben. Ganz am Anfang und am Ende waren wir zu fünft. Eine von uns war jedoch etwas schneller als wir und ging meist mit der vorderen Truppe. Auch kein Problem. 

 

 

5. Pilgertag von A Brana bis Sobrados dos Monxes (22 km)

Heute morgen, am fünften Pilgertag, hatten Pflaster und Kniebandagen ihren ersten großen Auftritt.  Hier was, da was. So langsam zeigten sich die Strapazen der Tour. Es waren nicht so die Kilometer alleine, sondern die Kilometer in Verbindung mit der extremen Hitze. Da kam auch der "Kühlste" ins Schwitzen. Halt auch die Füße, mochten sie noch so viel Platz haben. Aber selbst da war unsere kleine Frauengruppe hilfreich. Man unterstütze sich, gab Erfahrungen, Pflaster und Ratschläge in Behandlung von Blasen etc. weiter und tröstete. Man war nun auch eine Leidensgemeinschaft. 

 

Die ersten Blasen
Die ersten Blasen

Ich trug die vergangenen Tage Einlagen, um gut laufen zu können, hatte davon aber unter der rechten Fußsohle eine schrecklich große Blase bekommen. Aufstechen war nicht möglich, da sie viel zu tief lag. Mit Tricks und Kniffs versuchte ich sie daher ringsherum abzupolstern, was jedoch nur teilweise gelang. Mein Leidensweg begann. Hätte ich doch gestern sofort, als gegen Ende der Etappe die ersten Schmerzen auftauchten, meine anderen Schuhe angezogen. Hätte hätte. Wie war das mit dem "Hinterher ist man immer ...". Nichtsdestotrotz machten wir Leidgeprüften, alle Rennschnecken hatten irgendwo Probleme, uns unverzagt wieder am frühen Morgen auf. 

 

Der Jacobsweg verlief hier mit großen Höhenunterschieden auf und ab. Mit Teerpisten, Waldwegen und Kieswegen. Unser Reiseleiter hatte wie immer die Strecke im Kopf und konnte relativ genau sagen, wo und was es wo zu essen und zu trinken gibt. Eine große Hilfe, denn nicht überall gab es etwas und jede Pause war hochwillkommen. An diesem Tag sind wir viel durch kleine Weiler gekommen. Die Häuser waren zwar alle aus dem gleichen Granitstein erbaut, jedoch war jedes davon mit unterschiedlichen Verzierungen geschmückt. Sah wirklich hübsch aus.  

Die Klosterkirche Sobrado dos Monxes
Die Klosterkirche Sobrado dos Monxes

Beinahe unbemerkt und unspektakulär passierten wir unterwegs auch den mit 714 m höchsten Punkt des Küstenweges, den "Marcos das Pias". Das lässt erahnen, in welchen Höhen wir uns bewegten und wie hoch und runter es immer wieder ging. Die armen Knie. Noch unbemerkt litten sie dennoch schon arg drunter. Hier oben traf auch kurz darauf eine Abzweigung des Camino Primitivo auf den Küstenweg. Wir hatten an dem Tag schon etliche andere Pilger gesehen, die langsam immer mehr wurden. Sobrado dos Monxes ist eine der Stationen, die sich kein Pilger hier entgehen lässt. Nach einer letzten Einkehr, wo wir etwas tranken, ging bei mir aber nichts mehr. Die große Blase an der Fußsohle tat so entsetzlich weh, dass ich kaum mehr einen Schritt gehen konnte. Auch eine andere Rennschnecke hatte so heftige Fußprobleme, dass unser Reiseleiter uns ein Taxi für die letzten drei Kilometer nach Sobrados dos Monxes rief. Man muss auch wissen, wann es nicht mehr geht. 

 

Wir beide hatten daher etwas Zeit, uns die weitläufige Anlage des ersten spanischen Zisterzienserklosters zumindest von außen anzusehen. Die Klosterherberge war noch geschlossen. Wir sahen aber schon Pilger, die bereitstanden und darauf warteten, dass sie Einlass zur Herberge erhielten, der von 16:00 Uhr bis 18:30 Uhr war. Pech, wer später kam. Kurz darauf trafen unsere Mitpilger ein, und nach einer kurzen Trinkpause ging es wieder mit dem Bus zurück zu unserem Hotel der vergangenen Nacht. War verdammt viel Aufstieg und Abstieg heute, aber trotzdem ein herrlicher Tag.

 

Randbemerkung: Was mir in den Hotels aber auch in den Cafés auffiel war, dass es nirgends eine WC-Bürste gab. Als ich das bemerkte, habe ich extra überall geschaut. Immer negativ. Bei uns steht sie doch in jedem Haushalt, meist verschämt hinter oder neben dem WC, aber überall wo es eine Toilette gibt. Hier nirgends. Seltsam!

 

 

6. Pilgertag von Sobrados dos Monxes nach Arzua (23 km)

Am Abend zuvor war es mir doch noch gelungen, die riesengroße Blase an der Fußsohle mit meiner seit Jahren bewährten sterilen Methode aufzustechen. Kaum war der Druck weg, ging es dann auch schon einen Hauch besser. Dafür bekam heute mein rechtes Knie eine Bandage (vorsorglich von zuhause mitgenommen). Das ewige bergab gehen hatte angefangen seinen Tribut zu fordern. Ja, auch wenn man relativ fit ist, machen einen solche Wehwehchen einen Strich durch die Sache. Das unbeschwerte Laufen war vorbei. Aber aufgeben? Nie!!! 

 

Sitzecke aus Stein
Sitzecke aus Stein

Im Gegensatz zu den vorherigen Tagen war es an diesem Morgen sehr kühl. Es hatte nachts heftig geregnet. Trotz Windjacke fröstelte ich daher ein wenig, so dass ich am Anfang sogar noch eine dünne Fleecejacke anzog. Mit dem Bus wieder bis zur Klosteranlage von Sobrados dos Monxes gefahren, unserem Endpunkt von gestern. Rucksäcke geschultert, Wanderstöcke griffbereit, schnell noch Wasser und Snacks eingekauft, dann setzten wir den Weg von gestern fort.  Zuerst auf Asphalt durch die Stadt, über eine Brücke, um kurz darauf auf einem Wald- und Feldweg weiterzumarschieren. Erst kurz bergab, dann lange und stetig bergauf. Wieder auf Straße durch etliche Weiler hindurch, darunter auch durch die Häusergruppe Casanova. Wir verbinden mit dem Namen natürlich den Frauenheld Casanova, die hier meinen jedoch sicherlich neue Häuser, neue Siedlung oder so. Auf jeden Fall wird das Haus mit dem Schild "Casa Casanova" bestimmt sehr oft von Pilgern fotografiert. Da bin ich mir sicher. Von unserer Gruppe tat es fast jeder.

 

Von da an ging es fast nur noch bergab. Ideal für lädierte Knie!!! Teilweise durch schönen Eukalyptuswald, zwischendurch aber auch immer wieder entlang der Straße.  Obwohl wir um neun Uhr morgens los sind, trafen wir am Anfang nur vier andere Pilger. Da Sobrado dos Monxes ein sehr bekannter Pilgerort war, ist jedoch anzunehmen, das sich die meisten Pilger schon viel früher auf den Weg machten, um während der Nachmittagshitze bereits am Ziel zu sein und natürlich, um ein Bett in einer Herberge zu ergattern. Wir hatten ja dieses Problem nicht und mussten daher nicht vor Sonnenaufgang los. Allerdings sind wir deshalb voll in die Nachmittagshitze reingekommen. Besonders kurz vor dem Ortsanfang von Arzua schleppten wir uns noch einmal 700 m steil in der prallen Sonne bergauf. Das war echt heftig. Oben angekommen, standen an der Straße entlang etliche Bänke aufgereiht. 

 

Kurz vor Arzua. Es reicht.
Kurz vor Arzua. Es reicht.

Im Nullkommanix waren sie alle von uns belegt. Erstmal durchschnaufen und trinken, bevor es weiter gehen konnte. Und die Stadt Arzua ist groß, so dass es bis zu unserem Hotel nochmal mehr als zwei Kilometer waren. Mein Knie tat inzwischen so weh, dass ich mich im Hotel nur noch mühsam die zwei Treppen bis zu meinem Zimmer hochschleppen konnte. Und während die anderen drei noch ins hoteleigene "Planschbecken" gingen, fiel ich erst mal auf's Bett, nahm zwei Schmerztabletten, bemitleidete mich ein wenig, um nach einer Weile zu duschen und zu waschen. Zu meinem Schreck mussten wir zum Abendessen aber schon wieder eine gute Strecke durch die Stadt laufen. Das Essen in einem urigen Lokal entschädigte jedoch alles. Trotzdem heilfroh, als es ins Hotel zurückging und mich hinlegen konnte. Gute Nacht!

 

Als Susanne und ich nach dem letzten langen und steilen Anstieg in der prallen Sonne ziemlich erledigt auf einer Bank an der Straße saßen, fragte sie mich, ob ich Nüsse mag und bot mir welche an. Ich antwortete "Danke nein, das kostet zuviel Energie, um sie zu kauen. Ich kann nur noch etwas nehmen, was von alleine zerläuft". Das kam so spontan und ohne große Überlegung, dass wir beide lauthals lachen mussten und alle Müdigkeit verflogen war.

 

Randbemerkung: Wozu ist ein Handy doch nicht alles nützlich. Es ist sogar zur Völkerverständigung einsetzbar. Nachdem ich mich ein wenig erholt hatte, wollte ich in Arzua noch Wasser für den nächsten Tag kaufen und fragte auf spanisch den Hotelier, einen sehr netten jungen Mann, wo ich was bekommen könne. Die Frage hatte ich mir oben auf dem Zimmer in spanisch überlegt. Ohne großes Trara schleppte er daraufhin zwei riesengroße Wasserflaschen kostenlos für mich ran. Und er wollte kein Geld dafür. Erst radebrechten wir ein wenig darüber und anderes, dann kam mir die Idee mit dem Übersetzer im Handy. Ich tippte Fragen und Antworten in deutsch hinein, ließ es auf spanisch übersetzen, und Voila, er machte es umgekehrt. Das Ganze ging sicherlich eine halbe Stunde. Es war total unkompliziert und wir mussten sehr viel dabei lachen. Auch wegen der komischen Wortsetzungen die dabei entstanden. Schön!

 

 

7. Pilgertag von Arzua nach Rúa (20 km)

Der Tag begann für mich mit umfangreichen Maßnahmen gegen Knieprobleme und Co. Alle gefährdeten Stellen wurden abgepolstert, die Kniebandage angelegt und noch die "Droge der Pilger", Ibuprofen, genommen. So gedachte ich den Tag einigermaßen zu überstehen. Zum Frühstück um acht Uhr mussten wir wieder zu dem Lokal vom Abend vorher, mitten durch die Altstadt. Waren die Straßen aber gestern Abend noch fast leer, wimmelte es jetzt nur so von Pilgern, die mit ihren Rucksäcken und Wanderstöcken vorwärts strebten.

Alleine pilgern ist out
Alleine pilgern ist out

In Arzua treffen nämlich der Camino del Norte, der Küstenweg, und der Camino Francés zusammen. Und der ist mit 65 % aller Pilger zu jeder Jahreszeit überlaufen. Während wir vorher fast alleine unseren Weg gingen, befand man sich hier plötzlich in einem Pulk von Pilgern. Wie muss das erst in den Monaten Juli / August sein, wenn die Mehrheit der Pilger unterwegs ist. Nein, das wäre nichts für mich. Aber immerhin brauchten wir nicht mehr auf die Wegkennzeichnung zu achten. Einfach immer der Masse nach! 

 

Wir genossen daher unser Frühstück in aller Ruhe und hofften, als wir dann aufbrachen, dass die meisten Pilger schon weit vorüber wären, was wohl auch in etwa hinkam. Obwohl der Weg teilweise wirklich sehr schön war, konnte man ihn aber dennoch nicht genießen. Denn, wenn eine Horde von Leute, die teilweise sehr laut redeten und vor einem, neben einem oder hinter einem laufen, ist das fast unmöglich. Und schlimm ist es auch, wenn man überholt wird, oder gar selber überholen will. Jeder hat ja sein eigenes Tempo und der Weg ist teilweise recht schmal. Manche sind da recht rücksichtslos.  

 

Mittagspause im Schatten
Mittagspause im Schatten

Der Jacobsweg verlief durch die Altstadt Rúas und etwas später an gewaltigen Eichenbäumen vorbei, bevor die Landschaft wechselte und in große Wiesen- und Weideflächen überging. Und während noch in den letzten Tagen praktisch den ganzen Tag über kaum eine Möglichkeit zur Einkehr war, waren hier überall Cafés am Wegesrand, die schon morgens voll waren. In den meisten Herbergen gibt es nämlich kein Frühstück, oder die Leute gehen so früh weg, dass sie noch nicht frühstücken konnten. Das wird dann in den Cafés nachgeholt. Und wer noch keine Pilgermuschel, Halskette oder ein sonstiges Andenken an den Jacobsweg für sich selbst oder die Daheimgebliebenen hatte, konnte sich an den nun auftauchenden kleinen Schmuckbuden noch schnell eindecken. Der Kommerz pilgerte von nun an mit. 

 

Kurz nach der Einkehr zu Mittag folgte ein lange öde Strecke an einer dichtbefahren Straße, die wir zweimal überqueren mussten, und vor deren Überquerung gewarnt wurde, da es dort schon öfters tödliche Unfälle mit Pilgern gab. Uns passierte nichts, und so erreichten wir glücklich Rúa, unser Tagesziel. Später noch in die Stadt, aber nur kurz, mein Knie! Oh weh, wie sollte ich das am nächsten Tag bloß schaffen.

 

 

8. Pilgertag von Rúa nach Santiago de Compostella (23 km)

Heute also der letze Pilgertag mit dem großen Ziel vor Augen, die Kathedrale von Santiago de Compostella. Aber wie schaffen mit diesem dick geschwollenen und schmerzhaftem Knie. Ich konnte doch nicht so kurz vor dem Ziel aufgeben. Luis hatte die Lösung parat. Etwas abkürzen, fünf Kilometer mit dem Taxi, dann zu Fuß weiter. Gesagt, getan. Ich stieß also etwas später wieder zu den anderen auf den Jacobsweg. Bergauf durch einen Wald, an Labacolla vorbei, früher der Ort der traditionellen Waschung der Pilger vor ihrer Ankunft in Santiago, und weiter auf einer wenig befahrenen Landstraße und durch kleine Ortschaften. 

 

Der Berg der Freude
Der Berg der Freude

Und dann lag er vor uns, der Monte do Gozo, der Berg der Freude. Auf der Kuppe oben stand ein großes neues Monument für Johannes Paul II.  Früher konnte man von hier in der Ferne Santiago de Compostella sehen. Heute ist der Blick leider verbaut. Aber ich konnte sehr gut nachvollziehen, was für eine Erlösung es für die Pilger war, wenn sie es bis hierher geschafft hatten. Mir ging es auch so. Auch für mich war es eine Erlösung. Die letzten Kilometer würde ich nun aber auch noch schaffen. Und wenn ich dazu den Berg rückwärts runterlaufen musste. Was ich auch tat. Ich lief die steilen 125 m, von hinten am Rucksack gestützt, rückwärts runter. Unten angekommen, schleppten wir uns an der Einfallstraße entlang durch die Vorstadt von Santiago. Irgendwie war fast jeder geschafft. Zudem wurde es, je weiter wir uns der Kathedrale näherten, immer überlaufener in den engen Sträßchen. Massen von Pilgern liefen zielstrebig dem gemeinsamen Ziel entgegen. 

 

Ziel vor Augen
Ziel vor Augen

Ich fragte mich nur, wie es wohl in der Hauptsaison der Pilgerung da zugeht. Wahrscheinlich wie an den verkaufsoffenen Sonntagen in den Großstädten in der Weihnachtszeit. Und dennoch ist es ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man nach vielen Kilometern und Strapazen zusammen mit anderen sein Ziel erreicht. Der Augenblick, als wir vier vor der Kathedrale standen, war für jeden von uns schon etwas Besonderes. Wir hatten es geschafft. Ich gebe zu, dass mir in dem Moment vor Erleichterung ein paar Tränen in die Augen kamen. Aber nicht nur mir. Auch bei den anderen glitzerte es verdächtig in den Augen. Auf jeden Fall war es für uns alle ein großer Moment.

 

Unsere ganze Pilgergruppe
Unsere ganze Pilgergruppe

Nach den "Ankomm-Fotos"führte uns Luis noch um die ganze Kathedrale herum auf den Kathedralsvorplatz "Plaza do Obradoiro". Leider war die Hauptfront der Kathedrale eingerüstet. Dennoch war es der passende Ort für ein Gemeinschaftsfoto unserer gesamten Gruppe. Anschließend noch einen Blick in die Kathedrale. Die Rucksäcke mussten dabei draußen bleiben. Vor ein paar Jahren war das alles wohl noch lockerer, aber inzwischen gehen Aufseher in der Kathedrale herum und passen auf, dass die Pilger die Vorschriften einhalten und sich genierlich verhalten. Muss wohl so sein, bei den Massen. Nach diesem ersten Blick in das  Innere der Kathedrale machten wir uns dann auf in unser Hotel. Natürlich lag das etliches entfernt von der Innenstadt. Das Laufen hörte einfach nicht auf!

 

Allerdings blieb kaum Zeit zu jammern, denn das große Ereignis, die Pilgermesse in der Kathedrale, wartete auf uns. Also schnell geduscht , Haare gewaschen, umgezogen und schon wieder los. Wir vier bzw. inzwischen wieder fünf, wollten noch einen guten Platz ergattern und waren daher schon eine Stunde vor Beginn der Messe da. Aber oh je, die Kathedrale war bereits proppenvoll. Von wegen Sitzplatz, jeder suchte verzweifelt wenigstens nach einem Stehplatz. Aber selbst die gab es kaum mehr. Mit Sigrid setzte ich mich aus Verzweiflung schließlich vor einem Beichtstuhl auf den Boden. So lange stehen war einfach nicht mehr drin. Die besten Plätze hatten Bus- oder sonstige Touristen, für die Plätze reserviert waren.

 

Und dennoch. Trotz der vielen vielen Menschen, oder gerade deswegen?, machte sich in mir eine eigenartige Stimmung breit. Es war einfach ein tolles Gefühl, es bis hierher geschafft zu haben. Kaputt und mit wehem Knie, aber hier, am Ziel der Pilgerschaft, gemeinsam mit vielen anderen dieser Messe für uns Pilger beizuwohnen, war einfach großartig. Zumal 2016 ein außerordentliches Heiliges Jahr war, und wir daher das Glück hatten, das spektakuläre Schauspiel des Schwenkens des 54 kg schweren Weihrauchkessels (Botafumeiro) während der Messe miterleben zu dürfen (Ein Video davon hat Susanne gemacht, die einen besseren Platz ergattert hatte). Der Brauch geht auf das Mittelalter zurück, wo die frischangekommenen Pilger eine Nacht singend und betend in der ganztägig geöffneten Kathedrale verbrachten. Durch das Schwenken des Weihrauchkessels wurde versucht, die heftigen Körperausdünstungen wenigstens etwas zu überdecken. Wir hatten zwar geduscht, aber die Ergriffenheit während der Messe war sicherlich ähnlich. Ein unvergessliches Erlebnis!

 

Nach der Messe trafen wir uns als Gruppe wieder und gingen in die Altstadt, um dort wie die Einheimischen  zu essen. Luis kam aus Santiago und hatte für uns ein super Lokal ausgesucht, wo wir ganz leckere und typische Gerichte aufgetischt bekamen. Natürlich stießen wir auch mit galicischem Wein auf unsere glücklich geendete Pilgerung an. Kurz vor Mitternacht dann zurück ins Hotel. Wobei um diese Zeit auf den Straßen noch pulsierendes Leben herrschte. Müde aber selig ob des erreichten Zieles und all der vielen wunderbaren Erlebnissen dann eingeschlafen. Nicht aber ohne vorher unsere vollen Pilgerpässe Luis zu übergeben, der sie für uns im Pilgerbüro abgeben und unsere Pilgerurkunden abholen wollte. 

 

 

Letzter Tag in Santiago de Compostella (10.09.2016)

Heute hatten wir endlich Zeit, uns Santiago de Compostella in Ruhe anzusehen. Heute war unser "freier" Tag. Gut geschlafen und gefrühstückt, machten wir uns um neun Uhr zu fünft auf den Weg. Natürlich ging es zuerst zur Kathedrale. Sie noch einmal in Ruhe anschauen, ohne die vielen Touristen. Das sollte so früh morgens möglich sein. War es auch. Keine Menschenschlange, kein Anstehen. Wir konnten einfach so durch die Heilige Pforte, die Puerta Santa, und direkt über eine schmale Treppe hinter dem Hauptaltar hoch zur großen Santiago-Figur gelangen. Hier folgten wir der alten Pilgertradition und legten die Arme von hinten über die Schulter des Apostels. Egal wie man zu allem steht, es war noch einmal ein großer Moment und sogar ein Moment der Andacht. In dem Moment war man wirklich angekommen. Anschließend dann über Treppen hinunter zur Krypta, unter dem Hauptaltar, in der angeblich die Gebeine des Apostels Jakobus liegen. Dass diese Möglichkeit tatsächlich besteht, räumen nach vielen Jahren der Forschung sogar kritische Historiker ein. Beim Durchschreiten der Heiligen Pforte, was ja nur in Heiligen Jahren und eben 2016, dem außerordentlichen Heiligen Jahr, möglich ist, werden dem Pilger nach katholischem Verständnis alle Sünden vergeben. Man gelangt hierdurch von der Sünde zur Gnade. Ein schöner Gedanke. Später noch einmal durch die Kathedrale gegangen und sie in Ruhe betrachtet. Gestern war das ob der vielen Pilger und Touristen ja nicht möglich. 

 

Anstehen vor Hl. Pforte
Anstehen vor Hl. Pforte

Nach diesem eigentlich "offiziellem" Abschluss unserer Pilgerung bummelten wir durch die Altstadt von Santiago. Leider hieß das auch wieder rauf und runter, was ich mit meinem Knie fast nicht mehr konnte. Aber die "Rennschnecken" halfen mir ganz lieb. Auf beiden Seiten eingehakt meisterte ich die Treppen und das Hinabgehen einigermaßen. Santiago ist sehr hügelig, Inzwischen kamen aber auch schon die ersten Pilger des heutigen Tages auf der Plaza de Quintana an. Genau wie wir gestern. Und  ich bemerkte etliche Pilger, die genauso humpelten wie ich. Zwar traurig für die, aber irgendwie ein Trost für mich, dass ich nicht alleine Knieprobleme davongetragen hatte. Später sahen wir in einer Apotheke das Schild "Ibuprofen, die Droge der Pilger ". Ach ja, wie wahr.

 

Die Innenstadt soll eine der schönsten Spaniens sein, lebt jedoch inzwischen fast nur von den Pilgern und Touristen. Ein Souvenirladen neben dem anderen. Allerdings ein paar Meter abseits der "Hauptroute", von wo die Pilger auf die Kathedrale zuströmen, ein ganz anderes Bild. Hier konnte man wunderschöne Gebäude im barocken oder klassizistischen Baustil, viele Kirchen und Kapellen und die vielen kleinen Gässchen mit Muse betrachten. Nach den Markthallen mit ihren großen regionalen Angeboten, machten wir uns schließlich auf den Weg zum Park de Bonaval beim ehemaligen Kloster Santo Domingo. Das Kloster ist heute Sitz des Museums des galicischen Volkes. Und der Terrassenförmig angelegte ehemalige Klostergarten und der daran angeschlossene aber aufgegebene Friedhof bilden eine Ruheoase mitten in der Stadt. Leider war ausgerechnet heute das Wetter nicht so schön. Es nieselte teilweise und es war kühl. Ein klein wenig davon wäre auf der Pilgerung nicht schlecht gewesen, aber da musste es ja brütend heiß sein! 

 

Nachts um 1:30 Uhr
Nachts um 1:30 Uhr

 Um 16 Uhr schließlich ins Hotel zurück, Reisetasche und Rucksack für den Rückflug am nächsten Tag gepackt und noch ein wenig hingelegt. Immerhin war heute unser Abschiedsabend, der mit einem großen Essen und einer Überraschung gefeiert werden sollte. Also machten wir uns um 20 Uhr wieder auf den Weg in die Altstadt  zu einem urigen Lokal. Das Essen bestand aus lauter heimischen Spezialitäten. Und die waren gut, denn gute Küche wird in Galicien sehr geschätzt. Wobei Qualität und Vielfalt der Produkte Vorrang haben. Welche große Bedeutung das gute Essen für die Galicier hat, zeigt sich auch daran, dass es über das Jahr hindurch um die 300 lokale und regionale Gelegenheiten zum Feiern gibt. Die Überraschung war musikalischer Natur. Luis und seine Freunde spielten für uns traditionelle keltische Musik mit Querflöten, Geige, Gitarre und/oder Dudelsack. Und weil das auch zu dem keltischen Abend gehörte, bereiteten sie uns auch noch eine "Queimado" übersetzt "die Verbrannte" zu. Das ist ein Getränk, bestehend aus Orujo (Tresterschnaps), der mit Zucker, Zitronenschalen und Kaffeebohnen versehen zum Schluss flambiert wird. Ein toller Abschluss des Abends und unserer gemeinsamen Pilgertour. Gar nicht müde, aber noch einigermaßen vernünftig, machten wir uns schließlich um 1:30 Uhr auf den Weg zurück ins Hotel. Bei uns wären um diese Zeit die Straßen leer. Hier aber brummte noch der Bär. Die Lokale und die Tische auf den Straßen waren noch voll mit Gästen besetzt. Ist schon ein anderes Leben in Spanien. 

 

 

Abreisetag am 11.09.16

Ja, heute ging es definitiv nach Hause. Wie immer ein wildes und teilweise auch wehmütiges Verabschieden untereinander. Auch unsere kleine Gruppe wurde auseinandergerissen. Eine blieb noch da, wir anderen flogen zu unterschiedlichen Zeiten und zu unterschiedlichen Heimatflughäfen. Also traurig nur noch zu dritt gefrühstückt. Aber nicht bevor wir nicht unsere Pilgerurkunde in der Hand hatten. Luis hatte sie für uns an der Rezeption hinterlegt. Es war ein schönes Gefühl. Warum nicht auch ein klein wenig stolz darauf sein. Immerhin sind wir ja 170 km in glühender Sonne und über viele große und kleine Berge gepilgert. Mit allen Wehwehchen, die sich da so einstellten.

 

 

Schließlich abends um 18:00 Uhr in Zürich gelandet. Und, wie schon erwähnt, ohne Gepäck. Das wollte lieber noch in Madrid bleiben, wo wir umgestiegen sind. Aber auf der Heimreise ist das nicht so schlimm. so konnte ich unbeschwert mit Rucksack anschließend mit dem Zug nach Hause fahren. Am nächsten Tag trudelte auch meine Reisetasche ein. Aber schon auf dem Rückweg unterhielten wir Rennschnecken uns fleißig über WhatsApp. - Und wenn sie nicht gestorben sind, WhatsAppen sie immer noch! -

Mein voller Pilgerpass
Mein voller Pilgerpass