Oder-Neiße-Radtour Juli 2016

Von Zittau über Usedom nach Anklam


Endlich war es wieder soweit. Ich setzte im Juli 2016 meine inzwischen fünfjährige "Tradition", jedes Jahr eine große Radtour zu machen, fort. Nachdem es 2015 leider nicht klappte, stürzte ich mich Anfang 2016 mit umso größerer Begeisterung in die Vorbereitung der nächsten Fahrt. Ausgesucht hatte ich mir diesmal den Oder-Neiße-Radweg.

 

In neun Etappen fuhr ich alleine vom 19. - 27.07.16 von Zittau (Sachsen) aus immer der Neiße und später der Oder an der Grenze (Deutschland /Polen) entlang bis zur Ostsee nach Ueckermünde (Mecklenburg-Vorpommern), setzte mit der Fahrradfähre bei Kamp über das Stettiner Haff zur Insel Usedom über und fuhr anschließend mit dem Rad über die Zecheriner Brücke zurück aufs Festland zur Hansestadt Anklam (Mecklenburg-Vorpommern), wo die Tour endete. Tourkilometer waren es 638, mit An- und Rückfahrt von und nach Hause und Kurztrips in Dresden und Zittau, bin ich insgesamt 691 wunderschöne Kilometer auf dem Rad gefahren. Durch viel abwechslungsreiche Natur mit zwei großen Flüssen, kleinen und größeren teils wunderschönen Ortschaften/Städten, vielen Sehenswürdigkeiten und durch drei Länder. 

 

Planung: Durch die vorangegangenen fünf Radtouren hatte ich ausreichend Erfahrungen und konnte auf ihnen aufbauen. Nachdem feststand, welche Tour in Frage kam, informierte ich mich im Internet und besorgte mir das entsprechende Bikeline-Radtourenbuch. Außerdem hatte ich mir eine App des Radwegs auf mein iPhone runtergeladen, welche mir unterwegs gute Dienste leistete. Die Einteilung der Etappen, meist zwischen 60 und 75 km, ließ immer noch Spielraum für evtl. Umwege etc. (werden immer mehr Kilometer als geplant!) und richtete sich nach Sehenswürdigkeiten,  Übernachtungsmöglichkeiten, Höhenprofil etc.. Ich erstellte mir ein richtiges Programm. Als das ungefähr fest stand, buchte ich die Übernachtungen (meistens kostenlos bis 1-2 Tage vorher stornierbar) und reservierte meine Züge mit Radplatz. Bislang fuhr ich immer mit dem City-Night-Line, bei der man auch die Räder mitnehmen kann. Leider stellt die Bahn diese Züge ab 2017 ein. Mal sehen, was stattdessen kommt.

 

Ein paar Tage vor Beginn der Tour wurden die Ausrüstungslisten und die Inhaltslisten der Packtaschen (mitnehmen!) abgearbeitet und abgehakt. Ja, und dann blieb nur noch übrig auf gutes Wetter zu hoffen. Natürlich sollte man auch in guter Form sein. Aber das versteht sich ja von selbst!

 

 

Alleine fahren? Egal mit wem ich ins Gespräch kam und komme, zu Hause oder unterwegs, spätestens beim dritten Satz kam/kommt die Frage: "Haben Sie/du gar keine Angst so alleine?" Aber wovor sollte ich Angst haben. Ich bereite mich gut vor, nehme Kartenmaterial mit, lasse mein Fahrrad immer kurz vorher vom Fachmann durchchecken und habe mein Handy dabei. In den Unterkünften und unterwegs kommt man außerdem immer mit anderen Radlern ins Gespräch. Und einen Ersatzschlauch habe ich auch dabei, und kann ich auch wechseln! Also?!

 

 


So., 17.07.16: Anreise Rheinfelden - Basel - Dresden:

 

Derart gut vorbereitet und ausgerüstet ging es am 17.07.16 abends um 21:22 Uhr mit dem CNL ab Basel nach Dresden. Vorher bin ich mit dem Rad von Rheinfelden nach Basel gefahren (knapp 19 km). Einmal zur Einstimmung, und zweitens, um das lästige Treppenrauf und -runter beim Umsteigen mit dem Rad ohne Fahrstuhl zu umgehen. Das Einsteigen in den CNL selbst ist kein Problem. Man hat für das Rad einen gebuchten Stellplatz und für sich selbst einen Platz im Liegewagen. Da ich diesmal einen Sonderpreis ergattert hatte, war es leider ein Platz im 6-er Liegewagen. Aber Ohropax rein und Augen zu. Hauptsache der Zug brachte mich nach Dresden.

 

 

Mo., 18.07.16; 1. Tag: Bummel durch Dresden mit Rad - Zug von Dresden nach Zittau - Bummel zu Fuß und mit Rad durch Zittau (Rad 18 km)

 

Pünktlich um 07:05 Uhr des nächsten Tages erreichte der Zug Dresden. Ich als "Profi" hatte keine Probleme beim Aussteigen, dafür eine Dame mit E-Bike. Kurz geholfen, und schon hatte ich "Anhang". Da ich die Chance nutzen wollte, in Dresden etwas herumzufahren, schloss sich die E-Bike Dame mir gleich an. Soviel zum Alleinfahren! Also fuhren wir beide frühmorgens mit unseren Rädern durch Dresden und konnten durch die noch leeren Straßen ungehindert zu allen Sehenswürdigkeiten wie Zwinger, Schloss und Frauenkirche etc. vordringen. Den Abschluss bildete ein leckeres Frühstück im Lokal "Dresden 1900" direkt bei der Frauenkirche, wo die älteste noch erhaltene Straßenbahn Dresdens von 1898 im Inneren des Lokals steht. Tolle Atmosphäre. Dann trennten sich unsere Wege. Sie blieb in Dresden, ich fuhr zurück zum Bahnhof und gegen 12:00 Uhr mit dem Zug weiter nach Zittau, dem Ausgangspunkt meiner Radtour. 

 

Aber Zittau war nicht nur Ausgangspunkt der Radtour, sondern ist zugleich meine Geburtsstadt, die ich allerdings bereits in den allerersten Lebensjahren Richtung Bayern verließ. Ein paar wenige Erinnerungen blieben aber. Kaum in Zittau angekommen, fuhr ich zu meiner im Voraus gebuchten Unterkunft (Pension Dresdner Hof), machte mich kurz frisch und traf mich dann mit einer Freundin, die extra dafür nach Zittau kam. Zusammen liefen wir zu Fuß durch die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten. U.a. dem Marktplatz mit dem italienisch anmutenden Rathaus, der Johanniskirche vom großen Baumeister Carl Friedrich Schinkel, der Blumenuhr vor der Fleischerbastei sowie dem großen Fastentuch von 1472, welches eines der größten Schätze Zittaus ist. Viel zu schnell waren vier Stunden vergangen und wir mussten leider schon wieder Abschied nehmen. Etwas später fuhr ich mit dem Rad nochmals in die Stadt, um zu essen, dann erneut durch die Stadt und nähere Umgebung. Sozusagen mein ganz persönlicher Nostalgietrip!

 

 

Di., 19.07.16; 2. Tag: Zittau - Kloster St. Marienthal - Dreiländertrip ab Ostritz - Görlitz (58 km)

 

Ab heute war Schluss mit Bummeln. Der erste Tag, die ersten Kilometer auf dem Oder-Neiße-Radweg wollten gefahren werden. Total ausgeruht und nach gutem Frühstück machte ich mich um neun Uhr auf den Weg. Der Himmel war etwas bedeckt, und trotz heftigem Wind hatte es so früh schon 29 °C. Zum Abschied von Zittau fuhr ich nochmals quer durch die Stadt und an dem Haus vorbei, wo ich während meiner ersten Lebensjahre wohnte. Ja, und dann war ich auch schon auf dem offiziellen Oder-Neiße-Radweg. 

 

Auf der Fahrt durch die Stadt blieb ich öfters stehen, um Fotos zu machen. Kaum stand ich, sprachen mich Leute an, ob sie irgendwie helfen könnten. Oder auch einfach nur, um ein paar Worte zu wechseln. Alle waren extrem nett. Eine ältere Dame kam mir an einer Ampel direkt nachgelaufen um mich zu sprechen. Sie hätte früher auch Radtouren gemacht und dass sie ursprünglich aus Donaueschingen käme usw.. Und natürlich die Standardfrage, ob ich keine Angst hätte alleine zu fahren. Ein älterer Herr erkundigte sich genau wohin ich fahren wollte, und trug mir danach auf, die Ostsee zu grüßen, was ich natürlich tat. Ehrenwort!

 

Nach über 18 km auf schönen, teilweise richtig romantisch anmutenden Waldwegen und ersten Annäherungen an die noch relativ unscheinbare Neiße, entlang des bewaldeten Flusstals, stand ich vor der barocken Klosteranlage St. Marienthal von 1234. Eine wunderschön hergerichtete große Anlage des Zisterzienser Ordens, die schon viel miterlebt hatte. Zuletzt beim großen Hochwasser 2010, wo das Wasser an einigen Stellen 2,30 m hoch im Klosterinneren stand. Inzwischen wieder restauriert, bot es sich geradezu an, hier eine Pause zu machen. 

 

Während der Rast entschied ich mich, ab Ostritz den Dreiländertrip zu fahren. Da ich in Görlitz übernachten wollte, war die geplante Tagesetappe nicht so lang und ich konnte mir daher eine etwas längere Alternativroute erlauben. Auf dem Euroregion-Neiße-Nisa-Nysa-Radweg ist in nur wenigen Kilometern eine Fahrt in Deutschland, Polen und Tschechien möglich. Was ich nicht wusste, war, dass es immer Hügel rauf und Hügel runter ging. Und das Ganze bei starkem Gegenwind. Und nachdem ich mich dabei auch noch kurz verfahren hatte, fand ich den Erlebnisfaktor dieses Umweges daher nicht mehr ganz so überwältigend!

 

Zurück auf dem offiziellen Radweg und nach einer Mittagspause im alten Bahnhof Hagenwerder (es gab Soljanka, eine säuerliche scharfe Suppe der osteuropäischen Küche, und eine große Apfelsaft Schorle), trat ich wieder in die Pedale. Immer entlang des riesigen Areals des ehemaligen Tagebaus Berzdorf, welches sich langsam in ein Naherholungsgebiet umwandelt, den Berzdorfer See. Dann, wieder auf Tuchfühlung mit der Neiße, unter dem imposanten Bahnviadukt bei Obermühle hindurch, erreichte ich Görlitz. Meine Unterkunft (Picobello Pension) lag direkt am Radweg, an der Neiße, nur wenige Minuten vom Stadtzentrum entfernt. 

 

Also schnell geduscht, Radkleidung gewaschen, aufgehängt, und schon zu Fuß unterwegs in die Innenstadt. Zuerst über die Brücke in die polnische Stadt Zgorzelec, die vor dem 2. Weltkrieg zu Görlitz gehörte. Das obligatorische Foto von dort aus rüber nach Görlitz von der  Peter und Paul Kirche gemacht, dann zurück in die Altstadt von Görlitz. Sie wurde im 2. Weltkrieg fast nicht zerstört und nach umfangreicher Restaurierung strahlt die 1071 gegründete Stadt heute den Charme einer Mittelalterlichen Stadt aus. In einem rustikalem Lokal gegessen, noch etwas rumgebummelt, dann zurück zur Pension. Auffallend war, dass sehr viele ältere Menschen zu sehen waren. Görlitz ist inzwischen Anziehungspunk für viele westdeutsche Pensionäre und Rentner. Grund ist, dass die Wohnungen und die Lebenshaltungskosten erheblich günstiger sind als in Westdeutschland. Es gibt wirklich schlechtere Alterssitze!

 

 

Mi., 20.07.16; 3. Tag: Görlitz - Bad Muskau (75 km)

 

Relativ gut geschlafen und gefrühstückt, machte ich mich am 3. Tag um neun Uhr morgens auf. Nur ein paar Minuten von der Pension entfernt ging es kurz steil bergauf. Gestehe, ich habe mein Rad geschoben. Das war aber das einzige Mal auf der ganzen Tour! Temperaturmäßig hatte  es schon 27 °C im Schatten. Nach einiger Zeit schloß ich zu einer E-Bike Gruppe auf, blieb aber bewußt zurück, denn es hätte keinen Sinn gemacht sie zu überholen. Auf ebener Fläche war ich teilweise schneller als sie, aber bei jeder kleinsten Steigung hätten sie mich wieder eingeholt. Also lieber fotografiert, bis sie weiter weg waren.

 

Der Weg aus Görlitz führte lange an einer dichtbefahrenen Straße entlang. Gott sei Dank gab es daneben einen gut ausgebauten Radweg. Und so radelte und radelte ich fröhlich vor mich hin. Allerdings mit Gegenwind. Rechts und links große Getreidefelder und kleine Ortschaften, von denen eine Rodel hieß. Es ist die Geburtsstadt des Botanikers Traugott Gerber, der der aus Südafrika stammenden Blume "Gerbera" seinen Namen gab. Auf schattigen Waldwegen dann vorbei an der Kulturinsel "Einsiedel" mit ihren  abenteuerlichen Spiellandschaften. Um aber von der Straße weg zu kommen, nahm ich ab Rothenburg den Froschradweg, der abseits des Hauptweges verlief und viel Natur, weniger Verkehr und weniger Radler versprach. Was er auch hielt. Ein wunderschöner Weg, mit einigen minimalen Steigungen. Nach 37 km, mitten im Wald auf einem Hochsitz, machte ich Pause. Herrlicher Rundblick und Stille. Zu essen gab es einen Fitnessriegel.

 

Um 13 Uhr weiter, um kurz darauf bei Steinbach wieder auf den Hauptweg zu stoßen. Die inzwischen breiter gewordene Neiße war jetzt fast ständiger Begleiter auf dem herrlichen Weg durch Wald, Felder, freiem Land, und manchmal oben auf dem Hochwasserdamm. Nach 64 km lockte mich ein Hinweisschild "Radlertreff Sagar", dem ich nicht widerstehen konnte. Diesmal musste es ein leckeres Eis mit Sahne und ein riesengroßes Apfelsaftschorle sein. Etliche der Radler, die auf den gleichen Gedanken gekommen waren, saßen hier und begrüßten mich mit Hallo, auch die E-Bike-Gruppe. Auf der Strecke trifft man sich immer wieder, so dass man sich bald zuwinkt, begrüßt oder sogar kurz anhält und ein paar Worte wechselt. Einige kannte ich schon von Zittau her. Man wuchs langsam zu einer "Oder-Neiße-Radweg fahrenden Familie" zusammen.

 

Und dann dauerte es nicht mehr all zulange, und ich erreichte Bad Muskau, die Endstation für heute. Bad Muskau steht gleichbedeutend für den berühmten "Fürst-Pückler-Park". Ich kannte Bad Muskau schon von meiner Tour "Fürst-Pückler-Radtour" im August 2013, wo ich ebenfalls dort übernachtete. Ich also schnell in meine Unterkunft "Pension Parkstüberl". Netter Empfang, nettes Zimmer. Schnell Haare (Föhn immer ausgeliehen) und Sachen gewaschen, dann noch eine Stunde mit dem Rad durch den Park gefahren. Anschließend zu Abend gegessen. Dort traf ich einen Radler der auch auf Tour war. Im Gespräch stellte sich heraus, dass wir die gleiche Unterkunft gebucht hatten. Daher später gemeinsam zurück. Ein erlebnisreicher Tag ging zu Ende. 

 

 

Do., 21.07.16; 4. Tag: Bad Muskau - Guben (68 km)

 

Nach dem bewährtem Motto "7 - 8 - 9" ging es auch heute wieder los. Sieben Uhr aufstehen, acht Uhr frühstücken, neun Uhr Abfahrt. Erst zusammen mit dem Radler von gestern gefrühstückt, dann los. Raus aus Bad Muskau, vorbei an den vielen aufgereihten Einfamilienhäuschen entlang der Straße, entlang der Neiße, die versteckt hinter Gebüsch und Wald brav nebenher floß. Hier überholte mich ein Radler auf einem Mountainbike mit einem riesengroßen Rucksack auf dem Rücken. Ein paar witzige Worte flogen hin und her, dann war er fort. Wir trafen uns aber an dem Tag noch mehrmals und hatten hinterher noch länger Kontakt. 

 

Jetzt aber hieß es für mich erst einmal strampeln. 17 wunderbare Kilometer. Manchmal ein schrecklicher Holperweg auf alten Plattenwegen, dann wieder auf neu geteertem Weg. Mal war offenes Feld, mal Wald. Und in Bahren passierte es. Statt rechts abzubiegen und der Straße weiter zu folgen, fuhr ich geradeaus. Hatte es gar nicht bemerkt, da ich mich auf einem super Radweg befand, der immer weiter führte. Der Umweg brachte mich jedoch zwischen Bahren und Raden zu einem Ort, wo noch Spuren des 2. Weltkrieges zu sehen waren. Hier verlief die Hauptverteidigungslinie der deutschen Wehrmacht und noch heute erkennt man gut ein paar Schützengräben, die am 16. April 1945 zum unmittelbaren Kriegsschauplatz zwischen Oder und Neiße gehörten.

 

Kurz dahinter, irgendwie kam mir das Ganze inzwischen doch komisch vor, versuchte ich herauszufinden, wo ich eigentlich war. Aber kaum stand ich, kam schon ein Bauer, der auf dem Feld gearbeitet hatte, und fragte mich, ob er helfen könne. Wie sich herausstellte, war ich beileibe nicht die Einzige, die sich dort verfahren hatte. Ja, das passiere öfters am Tag, so der Bauer. Super! Mit Hilfe seiner Beschreibung fand ich jedoch schnell wieder auf den Hauptweg in Klein Bademeusel zurück. Fast könnte einem aber der Verdacht kommen, dass die Bauern in den abgelegenen Ortschaften mit 2 - 3 Häusern solche Situationen absichtlich herbeiführen, nur damit sie mit anderen reden können. Denn ohne einen ausgedehnten Plausch über Gott und die Welt lassen sie einen nicht mehr gehen. Ein Schelm, wer Böses darüber denkt!

 

Ich also weiter. Der Weg verlief fast nur noch oben auf dem Deich entlang. In Forst direkt am Ostdeutschen Rosengarten vorbei. Eine Parkanlage aus der Gründerzeit mit 40 000 Rosenstöcken in über 900 Sorten. Unter der Hitze und dem schlechten Wetter vorher hatte sein Blütenpracht jedoch sehr gelitten. Kurz hinter Forst auf dem Deich Mittagspause gemacht. Wieder mit Fitnessriegel. War extrem heiß und es lief schön. Etwas später traf ich erneut den "Rucksack Radler". Wir machten gemeinsam Rast und Fotos, dann fuhren wir getrennt weiter. Auf Betonplattenwegen und asphaltierten Radwegen ging es in den schattigen Wald, vorbei am Technischen Denkmal Wasserkraftwerk Grießen, vorbei am deutsch-polnischen Grenzübergang und zwischen Neiße und Bundesstraße auf dem Deich nach Guben, meinem Tagesziel. Inzwischen lechzend nach einem Eis mit Sahne, setzte ich mich in das erste Café das ich sah, trank auf einmal eine große Apfelsaftschorle aus und widmete mich dann mit vollem Genuss dem Eisbecher. Einfach himmlisch. Anschließend zur Pension "Pension zur Neiße". Da ich außer einem Fitnessriegel fast nie zu Mittag aß, es war viel zu heiß dafür, brauchte der Körper einfach Energie, die er dann in Form von Eis mit Sahne bekam.

 

Schnell geduscht, gewaschen und dann zu Fuß nach Gubin, dem polnischen Teil von Guben. Nach dem 2. Weltkrieg war die Stadt geteilt worden. In Gubin die Tandemfahrer wieder getroffen. Kurzer Plausch, Austausch der Erlebnisse des Tages und gemeinsames Abendessen. Später allein durch das nächtliche Guben zurück zur Pension - und ab ins Bett.

 

 

Fr., 22.07.16, 5. Tag: Guben - Mündung der Neiße in die Oder - Kloster Neuzelle - Frankfurt/Oder bzw. Slubice (74 km)

 

Heute verlor ich einen inzwischen lieb gewonnenen Freund, nämlich die Neiße. Sie mündete unterwegs ganz unspektakulär in die Oder. Ab jetzt begleitete mich nur noch die Oder. 

 

Erst ein paar Minuten unterwegs, noch in Guben, wurde mein Blick von einem riesengroßen Plakat gefesselt. Eine Giraffe ohne Haut/Fell. Ich fuhr an der Plastinationsfabrik des Gunther von Hagens vorbei. Dem Mann, der die Plastinierung von Leichen bekannt gemacht hat und hier in Guben sogar eine Schauwerkstatt in einer großen ehemaligen Tuchfabrik besitzt. Im Vorfeld gab es dazu heftige Debatten, die wohl immer noch nicht beendet sind. Irgendwie ist das schon alles sehr speziell!

 

Auf einem schönen, manchmal aber auch arg holpernden Plattenweg, an noch nicht geernteten Kornfeldern, später an einem Badesee vorbei, dann auf der Deichkrone entlang, gelangte ich nach ca. 17 km zum Ort Neißemündung - Ratzdorf. Dem Ort, wo die Neiße in die Oder mündet. Ganz unspektakulär. Man sah kaum die von rechts kommende Strömung der Neiße.

 

Von nun an veränderte sich das Landschaftsbild. Breit und ruhig floß die Oder nach Norden. Der Radweg, und damit auch ich, begleiteten sie in den nächsten Tagen überwiegend hoch oben auf dem Deich. Von dort hatte man natürlich einen herrlichen Blick. Rechts die Oder und ihre Auenwiesen, links überwiegend weite Felder und, wenn man Glück hatte, ein paar Häuser. Die Landschaft ist extrem dünn besiedelt.  Aber so schön es oben auf dem Deich auch war, begrüßte ich es, wenn es mal in den Wald ging und es kühler wurde. Denn obwohl auf dem Deich immer Wind, Gegenwind, wehte, war es brutal heiß.

 

Weil jedoch alles so prima lief, machte ich einen Abstecher zum Zisterzienserkloster Neuzelle. Die gesamte Anlage ist eine der wenigen vollständig erhaltenen Zeugnisse klösterlicher Baukunst. Im 13. Jh. gegründet, ist sie heute eine der bedeutendsten Barrockkirchen Mitteleuropas. Ein wunderschöner ruhig gelegener Ort. Ideal, um Pause zu machen, und der den mit Hin- und Rückfahrt insgesamt 7 km langen Umweg auf jeden Fall lohnt. Wieder zurück auf dem Deich, weiter Richtung Eisenhüttenstadt. Dort überquerte ich den Oder-Neiße-Kanal auf dem ich schon gerudert bin und fuhr durch die Stadt. In der Innenstadt einige bekannte Radler getroffen. Ein weiterer Treffpunkt war der Radlertreffpunkt Aurith, ca. 13 km nach Eisenhüttenstadt. Fast jeder nutzte die Möglichkeit, sich etwas von der Hitze zu erholen und zu pausieren. Und langsam kannte man alle, die diesen Radweg entlang fuhren. Dass man sich immer wieder traf, mag auch daran liegen, dass es auf der gesamten Tour nicht viele Möglichkeiten gab, etwas zu trinken oder gar zu essen. 

 

Kurz vor Frankfurt an der Oder ging es die "berüchtigte" Anhöhe bei Lassow (Lassower Berg) hoch. Als Belohnung aber kurz darauf lange abwärts und weiter in die Stadt. Dort gleich in ein Straßencafé wo es Eis und was zu Trinken gab. Erst dann fuhr ich durch die Innenstadt und machte ein paar Fotos. Allerdings kannte ich die Stadt bereits von 2010 her. Damals wollten wir auf der Oder rudern und in Frankfurt die Fahrt beenden. Das Hochwasser machte uns jedoch einen Strich durch die Rechnung. Als Ersatz ruderten wir daher auf dem Oder-Spree-Kanal und weiter bis Berlin. Allerdings sind mir die schrecklichen Bilder des Hochwassers noch gut in Erinnerung. 

 

Nach der Erfrischung fuhr ich über die Grenze nach Slubice, dem polnischen Stadtteil von Frankfurt, wo ich eine Übernachtung im "Hotel Anka"gebucht hatte. Mein Rad durfte im Bügelzimmer des Hotels, im zweiten Stock, übernachten. Die Tandemfahrer waren auch schon da. Ich hatte ihnen die Adresse gegeben da sie noch keine feste Übernachtung hatten. Schnell geduscht, gewaschen, und dann ab zum Essen im angeschlossenen Restaurant. Danach noch einen Bummel durch Slubice mit Blick nach Deutschland, nach Frankfurt/Oder. Was mir beim Essen und auch auf der Straße auffiel ist, dass in Polen noch viel geraucht wird und die normalen Geschäfte abends alle geschlossen sind, bis auf die vielen Tabakshops. Ist der Preisunterschied so enorm? Ich weiß es nicht. Dieses Laster habe ich schon lange hinter mich gebracht. 

 

Sa., 23.07.16, 6. Tag: Frankfurt/Oder - Güstebieser Loose (74 km)

 

Nachts war fürchterlicher Lärm auf den Straßen, so dass ich trotz Ohropax nicht gut schlafen konnte. Aber es nützte nichts, ich musste aufstehen. Schon morgens war es drückend heiß und überall drohten schwere Gewitter. Gott sei Dank kam es dann auf meiner Strecke doch nicht dazu. Wie üblich um neun Uhr los. Der Weg aus Frankfurt heraus war nicht so schön, da etliche lange Steigungen warteten. Einmal, auf einer solchen Steigung, die ich natürlich alle hochfuhr!, überholte ich eine Gruppe von Männern im besten Alter, die ihr Rad hoch schoben. Die schauten vielleicht, als ich radelnd die Steigung hochkam und an ihnen vorbei fuhr! Irgendwann aber habe ich sie doch wieder vorgelassen, denn es wurde mir auf die Dauer einfach zu anstrengend. Ich war nur einen winzigen Tick schneller als sie, und machte zudem ab und an Fotos, wo ich jedoch immer wieder meinen  Vorsprung verlor.  

 

Hinter Lebus hörten die Steigungen auf und der ca. 60 km lange Oderbruch begann. Ehemals Sumpfland, wurde das Gebiet zum Zwecke der Landgewinnung Mitte des 18. Jh. trockengelegt und durch Deichanlagen vor Überschwemmungen geschützt. Trotzdem sind die Menschen dort bei der Jahrhundertflut 1997 nur knapp einer Flutkatastrophe mit schlimmsten Folgen entkommen. Damals wurden von 14.000 Helfern über acht Mio. Sandsäcke am Deich verbaut, um ein Überfluten des Oderbruchs zu verhindern. Auch 2010 war allerhöchste Alarmstufe, aber die erneuerten, knapp fünf Jahre alten Deiche hielten stand. 

 

Auf eben diesen Deichen ging es heute stundenlang bei starkem Gegenwind entlang. Nach drei Stunden machte ich Rast bei Bleyen mit Fischbrötchen und zwei Apfelsaftschorlen. Kurz vorher hätte ich mich beinahe verfahren, aber es gerade noch gemerkt. Ich sah aber neun Radler, die in die gleiche "Falle" gerieten, es aber nicht merkten. Darunter eine Gruppe von vier jungen Frauen und zwei Familien, denen ich immer wieder begegnete. Tja, so kommen zusätzliche Kilometer zusammen. Das kannte ich! Ich war leider schon zu weit weg, um sie darauf aufmerksam machen zu können. 

 

Der weitere Weg immer auf dem Deich. Obwohl es traumhaft schön war, wurde es langsam etwas eintönig. Zudem war es brütend heiß mit heftigstem Gegenwind. Das alles schaffte mich. Hatte ständig Durst, der immer stärker wurde. Meine 1,2 Liter Wasser waren schon fast ausgetrunken. Aber nirgends eine Möglichkeit, nachzutanken. Nach 59 km endlich was gefunden. Jetzt war aber Pause ansagt, mit Apfelsaftschorle und, wie könnte es anders sein, mit Eis. Auf mehr hatte ich tagsüber nie Appetit. Es war einfach zu heiß.

 

Um 16 Uhr dann Eintreffen in meiner Unterkunft in der Güstebieser Loose bei Monika Rusche. Keiner da, aber ein Zettel für mich, dass der Zimmerschlüssel stecken würde. Das Zimmer war winzig, keine Toilette, kein Bad, nicht einmal ein Waschbecken. Alles auf dem Flur. So hatte ich das nicht vereinbart (ich nehme immer die Bestätigung der Reservation mit). Als die Wirtin dann auf meinen Anruf hin kam und die Situation geklärt war, bekam ich zuerst ein großes Badelaken (um wenigstens über den Flur huschen zu können), einen Föhn, danach kostenlos ein Abendessen und der Übernachtungspreis wurde um zehn Euro gesenkt. Mit Frühstück bezahlte ich letztendlich für alles 25 €. Das war wirklich erheblich mehr als eine großzügige Preissenkung. Die meisten anderen Zimmer sind übrigens modernisiert. Wie immer schon kurz nach 21 Uhr ins Bett. Habe nie Fernsehen geschaut. War immer beschäftigt mit Waschen, Tagebuch schreiben, SMSs verschicken, Route für den nächsten Tag nochmals studieren, Fotos anschauen, gleich ausmisten, in Taschen kramen etc.

 

 

 

So., 24.07.16; 7. Tag: Güstebieser Loose - Gartz (85 km)

 

Sehr gut geschlafen, da in dieser Einöde überhaupt kein Lärm war. Nach wirklich gutem Frühstück wieder los. Machte zuerst einen Abstecher nach Neulietzegöricke, dem ältesten Kolonistendorf des Oderbruchs, welches schöne Fachwerkhäuser und eine sehenswerte Dorfkirche haben sollte. Aber Enttäuschung und fünf Kilometer nahezu umsonst. Wenigstens die Landschaft brachte etwas Abwechslung. Ich also etwas frustriert auf meinen "geliebten" Deich zurück. Es war noch angenehm kühl. Nach ca. 9 km vorbei an der alten, aber gesperrten Eisenbahnbrücke "Bienenwerder", der längsten Brücke über die Oder. 2014 verkehrte hier am Wochenende eine Handkurbel-Draisine, welche aber aus Naturschutzgründen nach zwei Jahren wieder eingestellt werden musste. Sehr schade. 

 

Ca. 10 km später erreichte ich Hohensaaten. Noch gut bekannt von meiner "Tour Brandenburg" im Jahr 2014. Beide Radwege kreuzen sich hier. Damals kam ich von Nordwest, heute ging es Richtung Norden. Und hier stieß ich auch auf die ersten Schafherden. Es war schon erstaunlich, wie wenig Viehhaltung ich sah. Dafür gab es relativ viele Windparks und Solarkraftanlagen. Und während unter der Woche sehr wenig Verkehr auf dem Radweg war, wimmelte es heute am Sonntag nur so von Familien zu Fuß, mit Kinderwagen, im Rollstuhl, auf Rädern, auf Skateboarden, auf Skatrollern und was es noch alles so gibt. Das hieß aber auch für uns Radtour-Radler sehr aufpassen, denn in der Regel fuhren wir meist viel schneller als all die Ausflügler. Ich hasse es zu klingeln, aber da blieb nicht anders übrig, denn die Sonntagsausflügler versperrten meist die gesamte Breite des Radweges. 

 

Gegen 14 Uhr tauchte schließlich Schwedt auf, die größte Stadt der Uckermark. Vor dem 2. Weltkrieg eine wunderschöne kleine Stadt, wurde sie 1945 zu 85 Prozent zerstört, so dass nur noch einige Häuser von früher erhalten blieben. Ich fuhr zuerst an der Uferpromenade entlang, dann in die menschenleere Stadtmitte (Sonntag, extrem heiß, alle am Strand), machte Fotos, traf wieder einige bekannte Radler, und schließlich, wie konnte es anders sein, labte ich mich bei einem großen Spezialbecher wie gehabt. Und natürlich getrunken und getrunken. Einfach notwendig nach 61 km in praller Sonne.

 

Nach gut einer Stunde Rast erneut in den Sattel und die letzten Kilometer, es sollten noch 24 werden, in Angriff genommen. Die Strecke war erheblich abwechslungsreicher als vorher. Allerdings gab es für den offiziellen Radweg hinter Schwedt eine über 5 km lange Umleitung. Später sagte mir jemand, dass ich am Sonntag ruhig den normalen Weg hätte nehmen können. Leider erfährt man das halt immer erst hinterher. Egal, mich führte der Weg jetzt entlang der Hohensaaten-Fiedrichsthaler-Wasserstraße und später wieder auf den Damm bis nach Gartz, meinem Tagesziel.

 

Mein Handy leitete mich per Navi zu meiner Unterkunft, der "Pommernstube Gartz". Im Internet sieht immer alles ganz anders aus. Größer, schöner, vor Ort und Stelle ist alles kleiner und bescheidener. Aber das ist halt wohl so. Zumindest waren bislang die Wirtsleute immer sehr nett und die Zimmer annehmbar. Wie nett die Wirtsleute hier waren, konnte ich gleich testen, da mein Fahrradcomputer kurz vor Gartz plötzlich den Dienst versagte. Kaum sprach ich das Problem an, wollte sich der Stammtisch im Biergarten darum kümmern. In der Annahme, dass die Batterie schuld daran war, wurde am Sonntagabend! der Besitzer einer Werkstatt angerufen und mit einer Ersatzbatterrie herbeizitiert. Und der kam prompt. Leider war das aber nicht der Fehler. Spass hatten wir trotzdem alle. 

 

Zum Abendessen bin ich gleich dageblieben. Bauernfrühstück mit Schwarzbier. Wenn das keine Kraft für den nächsten Tag gab. Satt und glücklich bald ins Bett.  

 

 

Mo., 25.07.16, 8. Tag: Gartz - Salvey-Mühle - Schloss Penkun - Löcknitz (70 km)

 

Laut Tourenbuch hatte es die heutige Strecke in sich. Es sollte ganz viele Steigungen auf der Tour geben. Ich hatte daher nur eine kurze Etappe von 53 km eingeplant. Aber es kommt immer anders als man denkt. Der Stammtisch vom Vorabend hatte mir die Adresse eines Fahrradhändlers gegeben. Ich also schon um 8:30 Uhr los und die Werkstatt gesucht, und auch gefunden. Aber es hing ein großes Schild davor "Ab heute Ferien". Na super!. Und dafür einen Umweg gefahren. 

 

Nützte nichts, zurück auf den Radweg. Es war schon sehr heiß am frühen Morgen. 41 °C in der Sonne. War daher glücklich, dass der Weg bald durch den Wald ging. Ein wunderschöner geteerter Waldweg. Aber Mücken über Mücken. Gott sei Dank hatte ich Mückenspray dabei und sprayte wie wild um mich. Dennoch waren sie extrem lästig. Bald darauf, bei Mescherin, gab es eine Alternativroute zu einer ehemaligen Wassermühle, einem Kleinod in der idyllischen Landschaft, wie es beschrieben stand. Mein Wirt von der Pension hatte mir wegen des schlechten Weges abgeraten, auch im Tourenbuch riet man davon ab. Als jedoch ein Auto in diese Richtung fuhr, machte ich das auch. Gut, es war ein Plattenweg der nicht so toll war, aber ich kam ohne Probleme voran. Allerdings Hügel rauf, Hügel runter. Die vorhergesagten Steigungen. Dafür war die Umgebung schön. Weite Kornfelder, blauer Himmel. Und dann stand ich vor der beeindruckenden ehemaligen Wassermühle. Außer mir niemand da. Während der Besichtigung unterhielt ich mich mit dem "Holzwurmjäger". Mit Topf und Pinsel ging er auf Holzwurmjagd und bepinselte jedes neues Wurmloch das er fand. Er meinte, sprayen würde nichts bringen, seine Art der Bekämpfung sei effektiver. Aha, wieder etwas gelernt. 

 

Nach arg holprigen Kopfsteinpflasterweg später auf gutem, aber sehr hügeligen Weg, Richtung Penkun weiter. Unterwegs eine groß angekündigte Fahrradwerkstatt, ADFC geprüft, wie groß dranstand. Und? Nichts. Kein Mensch, keine Werkstatt. Also weiter. In der Karte hinter  Penkun war ein Freilichtmuseum eingetragen. Das interessierte mich, da wollte ich Mittag machen. Aber oh je, wie sah das aus. Die bestimmt mal schöne Anlage war dem Verfall preisgegeben. Keine Besucher, und sonst auch nichts. Sehr schade. Also wieder zurück nach Penkun. Es war 12:05 Uhr und kein Geschäft offen, kein Lokal oder sonstiges. Einzig bei einer winzigen Bäckerei gab es draußen auf der Straße einen Teller Soljanka und was zu trinken. Die Stadt schien total ausgestorben zu sein. 

 

Schnell weg. Ja, aber wohl zu schnell, denn bald hatte ich mich verfahren. Weiß aber immer noch genau wo. Der Radweg war jedoch so schön, so breit, so einladend und es ging so schön bergab. Wer konnte da widerstehen. Ich fuhr also auf einem wunderschönen neuen Radweg neben einer großen Straße lange lange bergab, bis ich dem Frieden doch nicht mehr ganz traute. Angehalten, auf die App des offiziellen Radwegs geschaut und gesehen, dass ich über vier Kilometer abseits davon war. Was half's. Wieder zurück und die langen Abfahrten in der brennenden Sonne eben diesmal hoch. Irgendwie war das nicht mein Tag heute.

 

Noch eine kurze Pause in Lebehn, und dann ging es, natürlich, immer wieder hügelig, Richtung Löcknitz, meinem Tagesziel. Dort eine Bäckerei gefunden, wo es Eis gab. Glück gehabt, denn sie wollte gerade schließen. Es war 16:40 Uhr! Danach rasch zur "Pension Löcknitz", geduscht, gewaschen und wieder in die Stadt, um irgend ein Lokal für das Abendessen zu finden. Lange hin- und hergefahren, alle Lokale waren geschlossen und teilweise nicht erst seit heute. Wollte schon aufgeben, da sah ich in einem Hinterhof einen etwas schmuddeligen Asia Stand mit zwei winzigen Tischchen draußen. Innen gab es keine Sitzmöglichkeit. Einfacher ging es nicht mehr, das Essen aber hat prima geschmeckt. Noch kurz mit dem Rad durch die Stadt, dann zurück in die Pension, ein Plausch mit dem Wirt, dann bald ins Bett. 

 

 

Di., 26.07,16; 9. Tag: Löcknitz - Ueckermünde (72 km)

 

Immer noch keinen neuen Fahrradcomputer. Nach dem Frühstück also wieder zurück in die Stadt zu einem Fahrradhändler. Der war tatsächlich um kurz vor neun Uhr schon da, war sehr nett, aber er hatte keinen Kabellosen. Also zum nächsten Fahrradmenschen. Dort gab es was ich brauchte, es dauerte allerdings eine Stunde, bis der Computer lief. Obwohl es mich in den Fingern kribbelte, hielt ich mich zurück, um ihn nicht noch unsicherer zu machen. Er hatte noch nie einen kabellosen Fahrradcomputer montiert. Aber Ende gut, alles gut. Weiter. Schon waren es wieder fünf Kilometer zusätzlich. 

 

Fürchterlich holpernd und rüttelnd auf Kopfsteinpflaster, später auf kurvigem, asphaltierten Weg durch Wiesen und Felder dem Radweg nach, der die ersten 25 km munter rauf und runter ging. Da kam ich ordentlich ins Schwitzen, zumal die Sonne richtig vom Himmel herunter stach. Und so war nach 36 km dringend eine Rast in Hintersee angesagt. Nach kurzer Suche im Ort, hinter der Kirche links, eine versteckte Wirtschaft gefunden, die mittags um 12:30 Uhr schloß, aber wo es für mich noch einen Teller Soljanka und etwas zu trinken gab. Gleich nach mir trudelte noch ein Radfahrerpärchen ein, die auch noch bedient wurden. Dann aber war Schluss. Das Geschirr sollten wir einfach vor die geschlossene Türe stellen. Wir drei blieben lange sitzen und erzählten, tauschten unsere Erfahrungen über Strecke, Begegnungen und Unterkünfte aus, dann fuhr jeder wieder seiner Wege. Von meinen "alten" Radwegbegleitern sah ich niemanden mehr. Das Tandempärchen, die zwei Frauen mit Kindern und die Gruppe junger Mädchen waren bereits in Schwedt mit dem Zug nach Haus bzw. nach Usedom gefahren, und der Rucksackradler war schneller als ich. Später schrieb er mir, dass er einen kleinen Unfall hatte, sich das Knie verletzte und deswegen aufhören musste. Schon ein arges Pech. Ansonsten fiel mir auf, dass es immer weniger Radler die letzten Tage gab. Anscheinend fahren nicht so viele den ganzen Oder-Neiße-Weg bis zur Ostsee durch.

 

Ab Hintersee führte der Weg auf dem Bahndamm der ehemaligen Randower Kleinbahn entlang, der zu  einem sehr gut befahrbaren Radweg ausgebaut worden war. Weiter eine lange Strecke durch den Wald nach Rieth und über einen Betonplattenweg auf den Deich. Vorbei am Neuwarper See mit vielen Badegästen. Hätte mich auch gereizt, aber ich hatte noch einigen Weg vor mir. Wieder über Felder, Wiesen und durch den Wald, dann gute drei Kilometer neben einer stark befahrenen Straße, aber auf einem breiten Radweg bis Bellin. Ein bekannter Badeort am Stettiner Haff. Hier zog es mich auch hin, mein fast schon obligatorischer Eisbecher musste einfach sein. Und schon traf ich das Pärchen von der 1. Pause wieder. Großes Hallo und zusammen dem Trubel am Badestrand zugeschaut. Wobei ich sie erfolgreich überreden konnte, auch mal mein spezielles Eis zu probieren. Nach einer Weile ging es weiter. 

 

Nun waren es nur noch sieben Kilometer bis zu meiner Pension im Seebad Ueckermünde. Immer links am Stettiner Haff vorbei, wobei der Weg immer voller wurde mit Kurgästen, Fußgängern und Radlern. Da war nichts mehr mit schnell vorankommen. An der Standpromenade vorbei, durch einen "Skulpturen Park" mit geschnitzten Märchenfiguren und mitten und durch Ueckermünde zu meiner etwas außerhalb liegenden Unterkunft "Pension am Rosengarten". Wie gut, dass ich reserviert hatte, denn sie war voll belegt, wie auch die ganzen Wochen schon davor. 

 

Die Pension, der Pensionswirt, alles, alle waren sehr nett, das Zimmer gut. Sogar einen Föhn gab es auf dem Zimmer. Ich schnell geduscht, Ausgehkleidung an und mit dem Rad zurück in die Stadt. Marktplatz, Kirche, Schloss und Hafen. Das ganze Programm abgefahren und abfotografiert. Schließlich am Marktplatz bei Blasmusik in einem Asia Restaurant gegessen. So ging ein schöner Tag zu Ende. Der vorletzte, denn am nächsten Tag ging es abends und nachts schon mit dem Zug nach Hause. 

 

 

Mi., 27.07.16; 10. Tag: Ueckermünde - Radfähre Kamp zur Insel Usedom - über Zecheriner Brücke nach Anklam - Zug nach Berlin - CNL nach Basel (45 km)

 

Ja, tatsächlich, heute war schon der letzte Tag der Radtour. Wie schnell das immer geht. Sozusagen gestern erst abgefahren, heute schon auf der Rückfahrt. Aber was soll's. Noch lag ein ganzer Tag vor mir. 

 

Wie immer um neun Uhr los. Ein großer Teil des Weges war geprägt von Feld- und Schotterwegen, Platten- und Sandwegen. Halt alles, was es so an Wegbeschaffenheiten gibt. Dazwischen aber auch gut asphaltierte Radwege. Es ging durch freie Felder, am Haff und vielbefahrenen Straßen entlang, auf Landstraßen, auf einsamen Waldwegen und durch kleine und größere Ortschaften. Ja, und dann noch über das Stettiner Haff, mit einer Fahrradfähre auf die Insel Usedom und zurück über die Zecheriner Brücke, der einzigen Straßenverbindung vom Festland zur Insel Usedom. Das Wetter war erst sonnig, dann heiß, dann drückend schwül, der Himmel verdunkelte sich immer mehr, er wurde schwarz und dann, dann goß es wie aus allen Kübeln.

 

Um kurz vor elf Uhr war ich nach ca. 28 km an der Radfähre in Kamp. Ich wollte mit ihr nach Karnin auf der Insel Usedom übersetzen. Vor mir wartete schon eine größere Gruppe mit zwei Anhängern, nach mir kamen noch weitere Radfahrer. Um elf sollte die Fähre losfahren. Sie kam auch, fuhr los, aber ohne mich. Es ging schön der Reihe nach. Ich war schon auf der Fähre, musste aber wegen Überfüllung (die großen Anhänger) wieder zurück. Einfach Pech. Musste auf die zweite Fahrt warten. Etliche warteten noch länger.

 

Während der Fährfahrt kam ich auch ganz nah an die Karniner Eisenbahnhubbrücke heran. 1876 fertiggestellt, bot sie damals eine Nonstop Zugverbindung zwischen Berlin und der Insel Usedom. Gegen Ende des 2. Weltkrieges sprengte die deutsche Wehrmacht selbst die Brücke. Einzig das Mittelteil blieb erhalten. Ich hatte sie schon einmal gesehen. Ende August 2006 machte ich eine Rudertour auf der Peene und fuhr am letzten Tag mit einem gesteuerten Zweier von Anklam aus auf das Stettiner Haff hinaus in die Nähe dieser Brücke. Plötzlich kam ein Gewitter auf und ein Blitz schlug ca. 400 m vor uns senkrecht an der Brücke vorbei ins Wasser. Wir hatten entsetzliche Angst und ruderten Weltrekordverdächtig zurück. Es war unmöglich irgendwo an Land zu gehen, da das ganze Ufer von einem Schilfgürtel eingefasst war und ist. Heute kam die Erinnerung daran lebhaft zurück.

 

Auf dem Weg von Ueckermünde bis kurz vor der Fähre überholte ich öfters Läufer. Während ich rechts zur Fähre abbog, liefen sie links in Richtung Anklam weiter.  Später erfuhr ich, dass sie an dem Ultralauf von Berlin nach Usedom teilnahmen. In fünf Etappen ganze 325 km. Das hieß 60 - 70 km pro Tag. Und das fünf Tage hintereinander. Einfach Wahnsinn. Als ich später über die Brücke zurück nach Anklam fuhr, kamen sie mir schon wieder entgegen.

 

Ursprünglich wollte ich auf Usedom eine längere Pause machen, aber erstens hatte ich Zeit verloren durch das Warten an der Fähre, und zweitens wurde der Himmel  immer dunkler und dunkler, so dass ich Pause Pause sein ließ und mich auf den Weg nach Anklam zum Bahnhof machte. Der Weg selbst war schön, aber ich hatte keine Augen mehr dafür. Ich trat wie wild in die Pedale, schaffte es aber nicht mehr. Kaum hatte ich vorsorglich meine Regensachen angezogen, meine Packtaschen regensicher gemacht, schüttete es schon los. Drei Wolkenbrüche auf einmal, wenn es sowas gibt. Ich fand ein wirklich winziges Eckchen an einer Scheune, wo es wenigstens ein kleines bisschen trocken blieb. Dennoch wurde ich nass. Ich konnte es mir trotzdem nicht verkneifen ein Selfie zu machen. Dieser Weltuntergang musste dokumentiert werden!! Schon halb erfroren (extrem starker Temperatursturz) tippte mir nach ca. 15 Minuten jemand von hinten auf die Schulter. Der Hausbesitzer in der Nähe lud mich ein, auf seiner überdachten  Veranda abzuwarten. Seine Frau brachte mir sogar einen heißen Kaffee. Mein Gott tat das gut! Aber als ich noch pitschnaß an der Scheune saß, kamen mir die Läufer entgegen, die unverzagt im heftigsten Regen weiter in ihren dünnen Rennshorts und -Hemdchen liefen. Und einige, die ich schon vor der Fähre überholt hatte, lächelten mir sogar zu, als ich so naß und verloren da saß. Bewundernswert.

 

Irgendwann wurde der Regen weniger und ich fuhr Richtung Anklam weiter. Über die schöne rote Holzbrücke über die Peene in die Innenstadt, wo ich noch in einer ehemaligen Kirche (Nikolaikirche) eine Ausstellung über Otto Lilienthal, dem großen Sohn der Stadt, besuchte. Danach etwas gegessen und anschließend zum Bahnhof gefahren. Dort angekommen wurde mir erst so richtig bewußt, dass damit eigentlich die Radtour zu Ende war. Ursprünglich wollte ich die letzten Kilometer so richtig nochmal genießen, aber der Regen hatte alle Pläne über den Haufen geworfen. Es folgte nur noch die Zugfahrt nach Berlin Gesundbrunnen und von dort dann spät abends mit dem CNL nach Basel. In Berlin hatte ich noch weiteres Pech. Ich hatte meine Gepäcktaschen schon griffbereit auf den Gepäckträger gelegt, damit ich sie beim Einsteigen schnell vom Rad nehmen konnte, hatte aber vergessen, dass sich darunter noch ein Spanngurt befand. Als der CNL einfuhr und ich mit dem Rad zu meinem Waggon fahren/laufen wollte, verhakte sich der Gurt in dem Zahnkranz und nichts ging mehr. Das Rad bewegte sich keinen Zentimeter mehr. Ich es also samt Gepäck geschultert, in das Radabteil bugsiert und anschließend mindestens 15 Minuten vor dem Rad kniend versucht, den Gurt raus zu pfriemeln. Meine Hände und Arme waren schwarz vor Öl und Dreck. Später kam der Schaffner hinzu und half mir, obwohl ich ihn vor dem Schmutz warnte. Er aber ganz Kavalier. Gemeinsam schafften wir es schließlich nach längerer Zeit den Gurt mit meinem Taschenmesser zu zerschneiden und aus dem Radkranz herauszuziehen, -winden. Beide waren wir sozusagen bis über die Ohren dreckig und schmierig. Ein dickes Danke an den Schaffner.

 

Nach der Aufregung mich notdürftig gereinigt, dann zu meinem Liegewagenplatz und die Augen zugemacht. Kein Umziehen oder Sonstiges mehr. Ich war total geschafft!

 

 

Do., 28.07.16; Fahrt mit Rad von Basel Bad. Bf. - Rheinfelden (19 km) 

 

Ganz pünktlich um 7 Uhr morgens in Basel angekommen, aufs Rad gesetzt, und los ging es Richtung Heimat. Eine Stunde später sicher zu Hause gelandet. Eine wunderschöne Radtour mit vielen Erlebnissen war zu Ende.

 

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Fahrzeiten / Wege:

Unterwegs war ich immer sieben bis acht Stunden am Tag. Die reinen Fahrzeiten bewegten sich dabei zwischen dreieinhalb und fünf Stunden. Dazwischen lagen Besichtigungen, Pausen, fotografieren und Unterhaltungen mit anderen Radlern etc.. Die Übernachtungen waren alle preiswert und o.k.  Für neun Übernachtungen mit Frühstück habe ich 308 € bezahlt. Natürlich durfte man dabei keine großen Ansprüche stellen. Die Wegkennzeichnung war überwiegend gut bis sehr gut, mit kleinen Ausnahmen. Die Qualität der Wege führte durch das ganze Spektrum an Untergrund. Von sehr gutem Asphalt über Kopfsteinpflaster, Plattenwegen, Waldboden bis hin zu 15 cm breiten Sandwegen. Die Routenführung selbst verlief viel auf oder neben dem Deich, durch Wiesen und Wälder und neben stark- und kaum befahrenen Straßen in und außerhalb von Städten und Ortschaften. 

 

Auf dem Papier geplant waren für den Radweg von Zittau nach Anklam 564 km. Durch Umwege, Umleitungen, Alternativstrecken, Fahrten zu den Unterkünften, Fahrten zu interessanten Stellen, durch Dresden und Zittau und abends durch die Ortschaften, sind 638 km daraus geworden. 

 

 

Höhenprofil Oder-Neiße-Radweg
Höhenprofil Oder-Neiße-Radweg