Schreckensnacht auf Borneo (2004)

 

2004 machten mein Bruder, meine Freundin und ich eine unbeschreiblich schöne und erlebnisreiche 23-tägige Reise in Borneo. Das Tourenprogramm hatten wir uns explizit nach unseren Wünschen und Vorstellungen von der Reiseagentur Karawane Studienreisen  zusammenstellen und organisieren lassen. Nur für uns drei. Es wurde eine unvergessliche Rundreise mit vielen und phantastischen 

Per Langboot zu den Ibans
Per Langboot zu den Ibans

Höhepunkten in Sabah und Sarawak. Darunter die Höhlen in Mulu und Gomantong, dem Mt. Kinabalu Park, dem Bako National Park, div. Langbootfahrten auf dem Kinabatangan River und einem Besuch der Selingan Turtle Island und des Sepilok Orang Utan Centers. Und einer Langhaustour mit Besuch und Übernachtungen bei den Ibans, einer indigenen Volksgruppe, die bis zum 2. Weltkrieg noch Kopfjäger waren. Die Bootsfahrt dahin mitten durch den Dschungel war schon ein kleines Abenteuer für sich. Da gerade Niedrigwasser war, liefen wir öfters auf Grund, und das Langboot musste wieder flott gemacht werden. Das hieß, wir sprangen voll angezogen ins Wasser und halfen mit, es wieder frei zu bekommen. Obwohl das richtig anstrengend war, waren wir begeistert dabei. Für uns war es eine 

willkommene Abkühlung mit Action. Im Langhaus angekommen, das direkt am Fluss Lemanak lag, allerdings auf einem hohen Steilufer, tat sich ein Blick in eine total andere Welt auf. Das Langhaus stand auf Pfählen und war ca. 90 m lang und aus Holz. Hier lebten 13 Familien mit je 10 - 12 Angehörigen. Jede Familie hatte einen eigenen Raum, einen Schlaf- und Wohnbereich, der, wie die der anderen Familien auch, durch eine Holzwand von einer offenen Galerie abgetrennt war. Diese Galerie wurde von allen Bewohnern gemeinsam genutzt, wie auch die Veranda vor dem Haus. Unser Guide stammte von einer der Familien ab, weshalb wir in den Wohnraum seiner Familie schauen und gemeinsam mit ihr essen durften. Das fand auf dem Boden statt, und gegessen wurde mit den Fingern. Im Anschluss daran führten unsere Gastgeber traditionelle Tänze vor, servierten selbstgebrannten Schnaps und richteten später unser Nachtlager. Einfach eine dünne Schaumstoffmatratze und ein Moskitonetz darüber, fertig.  

 

Das Dschungelcamp 

Am nächsten Tag aber begann dann der Teil, den wir bei der Planung der Tour unbedingt mit berücksichtigt haben wollten. Eine Nacht, fern ab aller Zivilisation, mitten im Dschungel. Daher machten wir uns, nach einem heftigen Regenguss am frühen Morgen, mit zwei Langbooten mit je zwei Bootsführern, unserem Guide und uns dreien auf. An Gepäck kamen nur unsere Rucksäcke, die Schlafsäcke, unsere Matten und die Moskitozelte mit. Und diesmal zogen wir gleich zu Beginn unsere Wasserschuhe an, denn erneut galt es, bis zur Hüfte im Wasser stehend, fleißig mitzuhelfen wenn das Boot wieder stecken blieb. Nach einer Stunde Fahrt durch tiefsten Dschungel und unter dichtem Laubdach, war die Fahrt zu Ende. Mit unserem Guide brachen wir zu einem Dschungeltrekking auf. Und  gleich zu Beginn hieß es einen hohen Berg zu erklimmen, der teilweise fast senkrecht anstieg. Natürlich gab es dort keinen Weg auf dem wir laufen konnten, sondern nur eine von unserem Guide mit der Machete freigeschlagene Fährte. Und das alles in tropischer Schwüle. Machte aber nichts, es war eh keine trockene Faser mehr an unserem Leib. Während der Tour bekamen wir eine Einführung in den Gebrauch und den Nutzen verschiedener Pflanzen und wurden auf alles aufmerksam gemacht, was da kreuchte und fleuchte. 

Kurz vor Sonnenuntergang schlugen wir unser Nachtlager auf einer Kiesbank auf. Es war einfach phantastisch und unbeschreiblich abenteuerlich. Allein schon die Geräusche des Dschungels ringsherum. Intensiver ging es nicht. Gegen 19 Uhr gab es ein exotisches Abendessen mit allem, was wir während unserer Trekkingtour gesammelt hatten. So probierte ich u.a. auch eine der Sago-Maden, die eine Delikatesse für die Einheimischen sind. Naja, Geschmäcker sind eben unterschiedlich. Dazu gab es ein alkoholisches Getränk, serviert in einem Bambusrohr. Und mit dem funkelnden Sternenhimmel über uns und den Geräuschen des Dschungels um uns herum zogen wir uns etwas später zur Nachtruhe zurück. 

 

Die Flut kommt

Was dann aber im Laufe der Nacht bis zum Morgen passierte, läßt sich nur mit einer totalen Schreckensnacht oder mit einem Extrem Abenteuer bezeichnen. Wir hatten uns alle gegen 21 Uhr in unsere selbsttragenden Moskitozelte für die Nacht zurückgezogen. Und da ich seit einigen Nächten ziemlich schlecht geschlafen hatte, tropische Hitze, ungewohnte Geräusche, jede Minute voller aufregender Erlebnisse, nahm ich diese Nacht noch eine Baldriantablette, um endlich mal  besser schlafen zu können. Was ich wohl auch bald tat.

Letztes Foto unseres Camps.
Letztes Foto unseres Camps.

Kurz vor Mitternacht  wachte ich jedoch plötzlich auf. Etwas Nasses tropfte mir ständig auf das Gesicht. Ich also raus aus dem "Zelt". Tatsächlich, es regnete, und zwar ziemlich heftig. Unsere Moskitozelte waren ja nur mit Gaze bespannt und hatten kein Plane darüber. Mein Bruder, der neben mir seinen Mosquitodome aufgebaut hatte, war auch schon wach. Kurze Beratung, was wir machen könnten. Erst versuchten wir unser Regenzeug darüber zu werfen, ohne großen Erfolg. Dann rannten wir beide zu unseren Bootsleuten, die weiter vorne unter Plastikplanen schliefen, und mit deren Hilfe schnitten wir von Bananenstauden Blätter ab und versuchten diese über unsere Moskitozelte zu legen. Was aber auch nicht gelang, denn inzwischen kam der Regen wolkenbruchartig herunter und spülte sie einfach wieder weg. Was nun. Schnell warfen wir Schuhe und Rucksäcke, die vor den "Zelten" standen, in die "Zelte" rein, und wollten alles zusammen unter die Plastikplanen tragen, unter denen die Bootsmannschaft und unser Guide lag. Aber dort war nicht mehr genügend Platz für uns. Die anderen hatten sich auch schon dorthin gerettet.

 

Inzwischen goss es aus allen Kübeln. Wir beide also wieder zurück, schnappten unsere Rucksäcke und rannten in die "Küche", unter die Plastikplane. Dort war inzwischen auch meine Freundin angekommen, die von Anfang an direkt daneben ihr Moskitozelt aufgehängt hatte. Eng aneinander gedrängt versuchten wir uns alle irgendwie  unter der kleinen Plastikplane zu arrangieren. Mein Bruder und ich rannten aber zwischendurch immer wieder in die "Sintflut" hinaus, um wenigstens die pitschnassen Therm A Rest Matten und die Schlafsäcke zu retten. Klatschnass und verfroren setzten wir uns schließlich auf die nassen Therm A Rest Matten, die trotz der Nässe ein klein wenig Wärmeschutz gegen den nassen Untergrund boten, hüllten uns in unsere nassen Schlafsäcke und versuchten so, etwas zu ruhen. Wegen der Enge mussten wir uns immer alle gemeinsam auf Kommando bewegen. 

 

Gegen ein Uhr nachts, wir hatten gerade eine einigermaßen erträgliche Sitzposition gefunden, schrie plötzlich ein Bootsführer aufgeregt: "Wasser, Wasser". Wie von der Tarantel gestochen sprangen wir alle auf - und standen ... im Wasser. Der kleine Fluss war wie wild angeschwollen und fing an unsere kleine Kiesbank völlig zu überfluten. Nun ging alles rasend schnell. Alles was wir nur greifen konnten wurde in die zwei Einbaumboote geworfen. Mein Bruder und ich liefen schnell noch zu unseren Moskitozelten und schafften es gerade noch, auch diese samt Inhalt in das Boot zu bugsieren. In unseren Zelten stand das Wasser schon 10 cm hoch, und alles, was noch vor dem Zelt stand, war schon weggespült. 

 

Kampf mit tosendem Wasser, Moskitos und Feuerameisen

Mit voller Wucht rauschte die Flut heran. Es wurde daher entschieden, dass die Bootsleute mit unserem geretteten Gepäck irgendwohin fahren sollten, wo für uns eine Möglichkeit bestand etwas höher zu kommen, da das Wasser sekündlich stieg und stieg und die Strömung immer wilder wurde.  Wir drei und unser Guide sollten zu Fuß mitten im Fluss dem Flussbett folgen, und versuchen, eine Anhöhe zu erreichen. Fast bis zur Brust  im Wasser, fest aneinander geklammert, alleine hätte die Strömung jeden von uns hilflos mitgerissen, kämpften wir uns also durch die tosende Flut. Barfuß, bei völliger Dunkelheit und über einen steinigen glitschigen Flussboden. Und das Ganze in Unterhose und T-Shirt, denn mehr hatten wir ja zur Nacht nicht an. Tapfer ging unser Guide voran, da er als einziger seine Taschenlampe gerettet hatte. Wir anderen drei folgten ihm stolpernd und uns fest am Vordermann klammernd, im immer höher steigendem Wasser hinterher. Ich, mit der geringsten Körpergröße, hatte teilweise schon Schwierigkeiten, immer schön meinen Kopf über der Wasseroberfläche zu halten.

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit von knapp 30 Minuten sahen wir über dem Wasser eine Taschenlampe aufleuchten. Eines der Boote war zurückgekehrt um uns zu holen. Die Mannschaft hatte das gerettete Gepäck vorher in einer Nebenbucht, wo man höher hinaufklettern konnte, schon abgeladen. Kaum waren wir im Boot, gar nicht so einfach, wenn man im reißenden Fluß fast bis zur Brust im Wasser steht, gelangten wir nach einer dramatischen Fahrt zu dieser Anhöhe. Wir also auf allen Vieren das lehmige Steilufer hinauf gekrochen. Mehr abrutschend als hochkletternd und mit mehreren Schürfwunden versehen, erklommen wir ca. fünf Meter Höhe und gelangten auf eine Pfefferfarm. Natürlich war es immer noch stockdunkel und es regnete nach wie vor.  

 

Ursprünglich wollten wir unter einem Wetterdach auf der Pfefferfarm Schutz suchen, unter welchem allerdings schon Bienenstöcke ihren Platz hatten. Daneben stand noch eine auf Stelzen stehende Arbeitshütte, aber da ertönte plötzlich der Ruf "Fireants", Feuerameisen. Vor denen hat jeder höllischen Respekt. Kurze Ratlosigkeit, dann wurde um uns herum ein schmaler kreisförmiger Graben ausgehoben und mit Petroleum gefüllt. Dieser “Petroleumgürtel“ war für die Feuerameisen unüberwindbar, und so konnten wir drei uns in dessen Mitte auf Düngersäcken, die mit mit einer Plastikfolie bedeckt waren, einigermaßen sicher hinsetzen. Eine aber hat mich doch erwischt. Aber außer, dass es ein brennender Schmerz war und die Bissstelle noch lange hinterher juckte, hatte ich in dieser Aufregung nichts weiter gespürt. Mein Adrenalinspiegel war viel zu hoch dazu. Inzwischen war es ca. 2 Uhr nachts, und uns war so entsetzlich kalt, dass wir erbärmlich zitternd und laut mit den Zähnen klappernd fast eine halbe Stunde hin und her hüpften, nur, um wieder etwas warm zu werden. Das aber war wiederum das Signal für die Moskitos, die sich nun mit Begeisterung auf uns stürzten. Etwas später kamen wir auf die geniale Idee, uns mit den Rücken zueinander hinzusetzen, was uns wenigstens ein klein wenig Wärme brachte. 

 

Sobald der Tag anbrach, brachen auch wir auf. Bis dahin waren es aber immer noch gute vier Stunden, die wir müde, erschöpft, naß  und frierend, fürchterlich dreckig von den Rutschpartien beim hochklettern auf den Hügel, mit Moskitos und Feuerameisen kämpfend, im Freien, bei völliger Dunkelheit, zubrachten. Und nach der enormen Anspannung wurde uns auch so langsam richtig bewußt, was wir gerade erlebt hatten. Das Ganze hätte ja auch ganz anders ausgehen können. Als der Morgen schließlich graute, brachen auch wir auf, zurück zum Langhaus, wo unser großes Gepäck lagerte. Da immer noch ein sehr hoher Wasserstand vorherrschte, flogen die Boote nur so unter dem tief herabhängendem Blätterdach dahin, welches einen ab und an voll in das Gesicht schlug, und erreichten nach einer guten halben Stunde unser Ziel. Schnell, und unter dem Lächeln der Langhausbewohner, hoffentlich einem mitleidigen Lächeln, unsere total lehmverschmutzten nassen Sachen aus und trockene Kleidung angezogen und genußvoll gefrühstückt. Wir hatten unser Abenteuer gehabt!