Jemen - Tausend und eine Nacht und die Realität

 Bombenattentat in Aden (29.12.92)

 

 

Sana`a, die Hauptstadt von Jemen (1992).
Sana`a, die Hauptstadt von Jemen (1992).

 

Ja, das war zum Jahreswechsel 1992/1993 wirklich eine Reise in ein Land von "Tausend und eine Nacht". Eine Reise in das damals seit zwei Jahren wieder vereinigte Nord- und Südjemen. Unsagbar schön und tief beeindruckend. In ein Land mit einer der ältesten Zivilisationen der Welt. In ein Land ohne Touristenströme und ohne Umweltverschmutzung. In ein Land hoher Berge mit tausend Jahren alten Dörfern auf den Bergspitzen und einzigartiger Architektur, bunten Farben und verlockend duftenden Gewürzen. In das Land der Königin von Saba und entlang der früheren Weihrauchstraße. In das frühere "arabia felix", dem glücklichen Arabien mit gastfreundlichen und stolzen Menschen.  

Ich bin nach wie vor dankbar, dass ich das alles sehen und erleben durfte. Dass ich mit einer kleinen Gruppe hauptsächlich durch den Südjemen reisen und bis tief in das Hadramaut eindringen und dort alles kennenlernen durfte. Es gab nämlich nur ein kleines Zeitfenster in dem das möglich war, denn beide Teile Jemens waren, jede auf eine andere Art, lange lange Zeit von der Außenwelt abgeschlossen. Erst seit wenigen Jahren war es damals Touristen erlaubt, das Land, insbesondere den Südjemen, zu bereisen. Leider versank das Land nur einige Jahre später in einen entsetzlichen Bürgerkrieg, der bis heute anhält und alles zerstört. 

Gelb: Straße / Grün: quer durch Wüste
Gelb: Straße / Grün: quer durch Wüste

Es begann im 17. Jh. , als Jemen sich teilte und gegen die Außenwelt abschirmte und Kriege und technische Entwicklungen der letzten Jahrhunderte spurlos an ihm vorbeizogen. Im Nordjemen herrschte bis 1962 eine absolute Monarchie  mit weitgehender Abriegelung gegen ausländischen Einfluss und Tourismus. Südjemen hingegen geriet damals unter die Kolonialmacht Großbritannien, von der es sich erst 1967 freimachen konnte. Das Interesse Großbritanniens konzentrierte sich zwar überwiegend nur auf den Hafen Aden, im südlichen Jemen regierten jedoch nach wie vor Sultane, die das Land unterdrückten und jeglichen Fortschritt verhinderten. 1967 wurde Südjemen schließlich nach einem landesweiten Aufstand kommunistisch, und blieb es bis 1990, bis zur Wiedervereinigung beider Jemen. Eine Wiedervereinigung, die immer wieder durch Stammeskämpfe belastet und für Touristen wegen der vielen Entführungen mit Lösegeldforderungen kaum mehr zu bereisen war. Heute ist es völlig unmöglich.

 

Das alles aber hatte zur Folge, dass das Land fast unberührt vom Fortschritt mit all seinen negativen Folgen blieb. Mein erster Eindruck damals war daher auch, als ob sich ein schwerer Theatervorhang hob und die Sicht auf ein "Tausend und eine Nacht" freigab. Ich war vom ersten Augenblick an wie verzaubert. Später aber holte uns die Realität ein. Ich geriet in Aden in ein Bombenattentat. Gottseidank ohne größere Folgen für mich, für andere endete es mit dem Tod. Und wenn ich sehe und höre, welch grausamer und sinnloser Krieg seit den letzten Jahren im Jemen tobt, finde ich keine Worte mehr für dieses entsetzliche Schicksal Jemens und seiner Bewohner. 

Angepasst  gekleidet
Angepasst gekleidet

Die Reiseroute

Unsere Reise begann am 25.11.92 in Frankfurt mit dem Flug nach Sana`a, der Hauptstadt Jemens, von der wir am 05.01.93 aus auch wieder zurückflogen. In Sana`a bummelten wir einen ganzen Tag durch die unter Denkmalschutz der UNESCO stehenden traumhaft schönen Altstadt mit Stadtmauer, entlang der mit weißem Kalk künstlerisch verzierten alten Hochhäusern aus Lehm, den vielen Moscheen und einem einzigartigen farbenprächtigen Suk und Gewürzmarkt.

 

Danach ging es ins Wadi Darr mit der ehemaligen Sommerresidenz des Iman Yacha, ins Gebirge nach Ibb, der sogenannten Hauptstadt des "Grünen Tals", und nach Jiblah, der Stadt der Königin Arwa. In  EL Janad besichtigten wir eine Moschee aus der Zeit des Propheten Mohammed und fuhren dann weiter bis nach Taiz mit dem "Berg der Geduld". Die Altstadt mit ihrer Moschee und dem Suk hatten es uns dort besonders angetan. Auffallend waren die unverschleierten Frauen mit ihren knallroten Kopftüchern und Röcken, die täglich vom Dschebbel Sabbir kamen und ihre Waren anboten.

 

Am Nachmittag fuhren wir weiter, um nach kurzer Autofahrt Aden zu erreichen. Legenden berichten, dass hier die Gräber von Kain und Abel liegen, und Noah dort seine Arche gebaut haben soll. Aden ist aber hauptsächlich eine Hafenstadt, die keinen so großen Eindruck auf uns machte. Dafür aber die mächtigen Zisternen als Wasserreservoir, die vor langer Zeit in die Vulkanhänge hinein gebaut wurden. Abends trafen wir dann in unserem Hotel ein. 


Nachdem wir unsere Zimmer bezogen hatten, gingen die anderen der Gruppe fort, um außerhalb des Hotels zu essen. Ich verzichtete darauf, da mir nicht so ganz wohl war. Wahrscheinlich hatte ich etwas gegessen, was mir nicht so bekommen war. Also blieb ich alleine im Zimmer zurück, meine Reisepartnerin schloss sich der Gruppe an. Ich wünschte ihr noch einen schönen Abend und legte mich kurz darauf ins Bett. 

 

Eine Bombe explodiert

Es kann noch nicht lange danach gewesen sein, da es noch hell war, da hörte ich plötzlich einen ohrenbetäubenden, noch nie gehörten Knall, und das ganze Haus wackelte. Oh Gott, ein Erdbeben. Was anderes kam mir gar nicht in den Sinn. Aber bevor ich diesen Gedanken überhaupt zu Ende denken konnte, fiel plötzlich meine Zimmerdecke in Bruchstücken herab. Ein Stück landete auf meinem Bett, neben meinem Kopf. Hilfe, was passierte da. Eine Minisekunde später war ich unterm Bett verschwunden. Das erschien mir erst mal am klügsten. Kurz darauf hörte ich lautes und schrilles Schreien und Rufen vom Fenster her. Etwas Entsetzliches musste passiert sein. Also ganz vorsichtig unterm Bett wieder hervor gelugt. Im Zimmer herrschte ein völliges Durcheinander. Ein Großteil der Zimmerdecke hing herunter oder lag auf dem Boden, und überall lagen Glassplitter verstreut. Das große Fenster war geborsten und ohne Scheiben.

 

Ich wartete noch etwas, ob eventuell ein Nachbeben käme, ich dachte ja noch immer, es wäre ein Erdbeben, dann kroch ich vorsichtig aus meinem Versteck zum Fenster. Immer in Sorge, dass sich ein Teil der herabhängenden Zimmerdecke löste. Beim Blick aus dem Fenster sah ich eine Menschenmenge, die hysterisch laut schreiend und in Panik vom Hotel wegrannte. Also doch ein Erdbeben. Was hatte ich darüber gelesen. Man muss  sich unter einen Türrahmen stellen. Also schnell meine Bauchtasche mit den wichtigen Papieren wie Pass und Flugticket geschnappt, und zur Tür gelaufen. Aber wo war die Türe. Sie baumelte nur noch in der Luft hin und her. Und wie sah erst der dahinterliegende Hotelflur aus. Einfach schrecklich. Auch dort hing die Decke und die dahinter befindlichen Leitungen in Bruchstücken herunter, Scherben und Splitter lagen herum. Und aus  den geplatzten Leitungen lief Wasser und setzte alles unter Wasser. Außerdem hingen Stromkabel lose herunter, und sehr wahrscheinlich war der Strom noch nicht abgeschaltet. Nein, da war im Moment kein Durchkommen mehr.

Nach der Explosion

Also setzte ich mich auf die Türschwelle. Natürlich nur im dünnen Nachtgewand, eigentlich wollte ich ja schlafen. Meine Bauchtasche hielt ich fest an mich gedrückt. So saß ich eine ziemliche Weile, und überlegte krampfhaft, was ich am Klügsten nun machen könnte. Gottseidank hörte ich nach einer gefühlten Ewigkeit dann aber hinter einer Mauer Rufe und Klopfzeichen. Rettung. Ich also auch gerufen und geklopft, und ca. zehn Minuten später kamen drei Männer in völlig zerrissener dreckiger und nasser Kleidung mit Taschenlampen auf mich zu gekrochen. Es war der Hotelmanager mit zwei Helfern, die auf Suche nach Hotelgästen waren. Über Notleitern brachten sie mich ins Freie. Dort wartete schon voller Sorge meine Reisegruppe auf mich. Man sah allen an, dass sie erleichtert waren, mich wiederzusehen. Na, mir ging es aber genauso. Was war denn nun aber wirklich passiert.

 

Es war ein Bombenattentat der Al Kaida

Da wir nicht mehr ins Hotel zurück durften, bauten wir unsere Zelte, die Gottseidank noch in den Autos lagen, einfach im Hotelgarten auf und versuchten etwas Ruhe zu finden. Natürlich ohne alles. Ohne Therm A Rest Matte oder Schlafsack. Wir hatten nur das, was wir vor dem Ereignis an hatten. Ich also nach wie vor nur im dünnen Nachtgewand. Aber trotzdem waren wir alle froh und dankbar dass uns nicht mehr passiert war. Und erst so peu à peu erfuhren wir, dass es ein Bombenattentat war, welches einen österreichischen Touristen und zwei der Attentäter tödlich verletzte und vier andere schwer. Viel später las ich, dass es sich dabei um das 1. Bombenattentat der Al-Kaida handelte und eigentlich gegen US-Soldaten gerichtet war. Die Bombe explodierte nur vier Zimmer von meinem Zimmer entfernt auf dem selben Flur.

 

Mir selbst ist außer kleinen Schnittwunden durch die Glassplitter nichts passiert. Außer, dass ich wohl doch einen Schock erlitten und infolge dessen fast eine Woche lang die Sprache verloren hatte. Und natürlich hatte sich mir alles tief in das Gedächtnis eingraben. Wohl so tief, dass mir seit dem bis heute bei größerem Stress als erstes meine Stimme versagt. Aber etwas Gutes hatte alles doch, denn die Gruppe kümmerte sich rührend um mich, und dabei kam heraus, dass einer von ihnen ruderte. Vier Monate später trat ich diesem Ruderclub bei und fand damit mein großes Hobby.

 

Wie ging es weiter

Ungeachtet dessen was vorgefallen war, ging die Reise in und durch den Hadramaut weiter. Vorher setzten wir uns aber noch über die Anweisung des Hoteldirektors hinweg. Meine Zimmergenossin und ich schlichen um halb fünf Uhr morgens auf äußerst gewagten Wegen mit Taschenlampen und meist kriechend zu unserem Zimmer und holten unsere Koffer. Wir brauchten doch unsere Sachen und wollten außerdem nur noch weg. Die anderen der Gruppe waren in einem anderen Stockwerk untergebracht und hatten diese Probleme nicht. Dabei machte ich auch die obigen Fotos. Es folgten noch wunderbare Tage mit schönen und nicht so schönen Erlebnissen. So wurden wir in Tarim, der heiligen Stadt des Hadramauts, von Männern angespuckt und mit Steinen beworfen, weil wir am Eingang eines Friedhofes standen und hineinschauten. An unserer Kleidung konnte es nicht gelegen haben, denn inzwischen hatten sich alle Frauen der Reisegruppe es mir im Laufe der Reise nachgemacht und sich mit Kopftuch, lockerer Bluse und weitem Rock oder weiter Hose bekleideten. Sie hatten die Erfahrung gemacht, dass ich wegen meiner "züchtigen" Kleidung immer mit mehr Respekt behandelt wurde. Aber der Blick von uns "Ungläubigen" auf die Gräber reichte aus.

 

Von Tarim aus ging es in einer abenteuerliche Fahrt mit dem Jeep (im Reiseverlauf grün markiert) durch die berühmte Wüste "Rub al Chali", dem "Leeren Viertel".  Vor der geplanten Abfahrt mussten wir einen halben Tag warten, bis sich genügend Autos fanden, die auch diese Strecke fahren wollten. Wegen der Gefahr eines Überfalls durfte man nämlich nur in einem Konvoi fahren. Die Auto-Karawane wurde von mehreren Jemeniten mit Kalaschnikofs begleitet, um uns vor Angriffen zu schützen. Auf dieser Fahrt überschlug sich ein Jeep bei hohem Tempo beim Queren einer Düne. Dabei wurden zwei Personen verletzt, wovon eine später vorsorglich ins Krankenhaus gebracht werden sollte. Sie trug aus medizinischen Gründen ein stabiles Korsett und hatte sich verletzt. Sie nahm jedoch lieber das Risiko eines Heimflugs auf sich, als dort in ein Krankenhaus zu gehen.